Die Begeisterung heutiger Regisseure für die Wiedervorlage dieses doch eigentlich hochbetagten Werkes, vom Nürnberger Intendanten Jens-Daniel Herzog ausdrücklich geteilt, hat ihre Logik in geradezu grenzenloser Interpretationsfreiheit. Nicht Weihekunst, sondern Allzeitentertainment ist gefragt. Es ist überhaupt kein Problem, wenn die elastische Göttermetaphorik durchgereicht wird in die nicht sonderlich überzeugend beschriebene Pseudo-Gegenwart eines Greta-Gedächtnis-Gymnasiums. Bühnenbildner Mathis Neidhardt entwarf das Schulgelände (Klassenzimmer, Turnhalle, Direktionsbüro mit integrierter Verwitterung an allen Wänden), das jedem Kultusministerium als Argumentationshilfe für millionenschwere Sanierungsprogramme dienen könnte. Der Regisseur ist nicht zimperlich bei der Nutzung des Angebots und streut Gags wie Kamellen, ehe er seine besondere Aufmerksamkeit auf Sex & Crime lenkt. Wir sehen staunend eine Schulsekretärin mit Vorliebe für Taekwondo und Eierlikör, die obendrein „endlich richtig geknallt“ werden will (der Tenor Martin Platz stöckelt sicheren Schrittes durch Noten und Pointen), mehrere Mopeds mit Besatzung, einen Pizzaboten, missglückte Koitus-Gymnastik und bedauernswert fuchtelnde Furien. Die fließende Aufhebung der Geschlechtergrenzen, sanft hochgewirbelt im munteren Tausch der Stimmfächer zwischen Männern und Frauen, klinkt sich erkennbar vom Knalleffekt aus und in den Theatersog ein.
Musikalisch ist die Freiheit fast so groß wie der Spielraum der Szene. Spezial-Dirigent Wolfgang Katschner, schon in der vorigen Saison fürs Philharmoniker-Training an Händel zuständig, hat diskret eingegriffen. Das gegenüber dem knapper gehaltenen Original stark aufgerüstete 16-Köpfe-Ensemble, dessen überwiegend historische Instrumente den sonst auch für eine Wagner-Hundertschaft tauglichen Orchestergraben mühelos füllen, hat es mit einer Nürnberger Fassung zu tun, die Kürzungen bei Cavalli mit Ergänzungen durch Miniaturen seiner Zeitgenossen ausgleicht. Als Dirigent pflegt Katschner die Sicherheit gleichmäßig pumpender Rhythmik, die dem Sound bei aller erfreulichen Delikatesse auch dauerhaft ein deutliches Maß an elegischer Trägheit verpasst, was man mit gutem Willen als Poesie nehmen kann. Unter den Sängern im nicht immer ganz mühelosen Ensemble ist Sopranistin Julia Grüter in der Titelrolle schon ein Glanzlicht, ehe ihr der Über-Gott und Chef-Zyniker eine ewige Zukunft als Stern am Firmament, quasi den Platz an seinem Nachttisch, verspricht. Dass es zum Schluss eigentlich todtraurig wird, wenn die letzte Idealistin vom System genüsslich verdaut wird, ist offenbar kaum inszenierbar, weil diesem Gedanken weder Text noch Musik gewachsen sind. Regisseur Herzog ruckelt und zuckelt nochmal absichtsvoll am Finale herum und macht es dann dunkel. Finsteres Ende nach fröhlichem Spektakel, mehr geht nicht.