Die Tänzer*innen sind so unterschiedlich in Alter, Körperlichkeit, Hautfarbe, Charakter, Temperament, dass sie nahezu einen Mikrokosmos der Weltbevölkerung abbilden. Als wären die Zuschauer*innen tatsächlich für die Zeit der Aufführung mit den Performer*innen in einem eigenen Universum. Überhaupt ist die gemeinsam erlebte Zeit ein zentrales Motiv der Produktion. Nicht nur mit Wahrnehmung, Bewegung und Umgebung wird gespielt, auch zeitliche Abfolgen werden seziert: Das Medium Tanz ist für ein Spiel mit zeitlicher Wahrnehmung geradezu prädestiniert. Stuart arbeitet mit Verzögerung, Verlangsamung, Wiederholung und Synchronisierung von Geschwindigkeiten. So wird jegliche Zeitwahrnehmung erfahrbar und hinterfragt.
Auch die Suche nach einer besseren oder zumindest anderen Welt wird thematisiert: „What if we could find a door to another place?”, fragt eine Performerin und wünscht sich, Namen von Sternen zu verändern. Einen Stern habe sie nach ihrem Hund benannt, einen nach ihrer Nachbarin und einen dritten nach ihrem Cousin. Beliebigkeit steht hier neben dem Wunsch zur Kategorisierung – ein Charakteristikum unserer Zeit: Aber hilft es wirklich, Zusammenhänge besser zu verstehen, wenn wir alles benennen, einordnen und beschriften?
Stuart arbeitet in „Cascade“ auch musikalisch stark mit Dynamiken: Philipp Danzeisen (Schlagzeug) und Brendan Dougherty (Schlagzeug und Komposition) steigern und retardieren ihr Spiel wie im Rausch. Genauso entwickelt sich die Choreografie hin zu ekstatischen, ungezügelten, scheinbar unkontrollierten Bewegungen. Bis es zu einem Moment des direkten Kontakts von Akteur*innen und Zuschauer*innen kommt: Alle sieben Tänzer*innen stehen plötzlich in privaten Haltungen da, zeigen sich schwitzend, Luft zu fächernd, entspannt. Es ist nur ein kurzer Moment der Privatheit. Sie sehen ihr Publikum an und nehmen Kontakt zu ihm auf, im Hintergrund Strand, Meer und Sonnenuntergang, der Titel „Cascade“ erscheint in schnörkeliger Schrift auf der Bühnenrückwand, gefällige Boy-Band-Musik erklingt.
Hier wird die kollektive Sehnsucht nach einer schöneren Welt inszeniert, die so oft mit der Sehnsucht nach einem fernen Ort, Traum-Urlaub, einer Pause vom Alltag gleichgesetzt wird. Doch ist diese bessere Welt wirklich in ein paar Flugstunden zu erreichen?