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Im eigenen Ich gefangen

Peter Maxwell Davis / Salvatore Scarrino: Eight Songs for a Mad King / Infinito nero

Theater:Landestheater Coburg, Premiere:12.03.2011Regie:Birgit KronshageMusikalische Leitung:Peter Tilling

Allzu lang ist dieser Doppelabend in der Coburger Reithalle nicht. Aber er hat es in sich. Sowohl die „Eight Songs for an Mad King“ von Peter Maxwell Davis (77), als auch Salvatore Sciarrinos (64) „Infinito nero“ handeln von Fällen historisch verbürgten Wahnsinns. Oder was man damals dafür hielt. In Hollywood hat gerade der Film über den stotternden englischen König Georg VI. ziemlich abgeräumt und ihn damit dem Vergessen entrissen. Der britische Komponist Davies hat schon 1969 eine Kammeroper über Georg III. (1738-1820) geschrieben. Bei diesem Monarchen, der von 1760 bis zu seinem Tode, also 60 Jahre auf dem Thron saß und der die letzten neun Jahr offiziell als verrückt galt, ging es aber nicht nur um therapierbare Sprechstörungen. „Eight Songs for a Mad King“ zeigt in acht Szenen (bzw. „Liedern“) einen König, der unter exzessiven Redeschüben litt und Gefangener seiner Wahnvorstellungen, aber auch seiner „fürsorglichen“ Umgebung war.

In den „Estasi in einem Akt für Mezzosopran und Instrumente“ des Italieners Sciarrino geht es um die nicht weniger sonderbaren, ebenfalls als Redesturz hervorbrechenden Visionen der Mystikerin Maria Maddalena de’Pazzi aus der Zeit um 1600. Acht Novizinnen waren der Überlieferung nach erforderlich, um deren Offenbarungen nachzusprechen und dann aufzuschreiben.

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Die musikalische Sprache dieser beiden Größen in der Musikwelt der Moderne ist unterschiedlicher kaum denkbar. Der Brite (der mit mehreren seiner Opern immer wieder auf den Spielplänen auftaucht) langt auch in der kleinen Form und Orchesterbesetzung mit der großen, geradezu expressiven Theaterpranke zu, verwandelt sich beim Zitieren sogar Motive aus Händels „Messias“ an und lässt dann wieder Ragtime-Rhythmen einbrechen. Vor allem aber treibt er den Sänger-Darsteller des Königs immer wieder an die Grenzen des Sing- und mit der menschlichen Stimme Ausdrückbaren.

Während der Italiener (dem die Salzburger Festspiele vor drei Jahren einen ganzen Schwerpunkt gewidmet haben) den Musikern, und über weite Strecken auch seiner „Nonne“, eine Zurückhaltung abverlangt, die geradezu an Selbstverleugnung grenzt. Hört man beide Kammeropern, so wie in Coburg, in einem szenischen Rahmen hintereinander, so ergibt sich eine verblüffende Korrespondenz, bei der sich die eine sozusagen in der anderen spiegelt. Die „Eight songs“ werden dabei zu einem Aufschrei in psychischer und physischer Not, der panisch nach den Ausdrucksmöglichkeiten des Irdischen greift. „Infinito nero“ erscheint dann wie dessen Echo aus dem Jenseits, das sich immer wieder und nur tröpfchen- und töneweise aus einer geradezu exzessiven Stille zu lösen scheint. Die Bereitschaft zur meditativen Aufmerksamkeit, die das erfordert, kann sich durch diese Kombination tatsächlich einstellen. Man könnte die Reihenfolge schon deshalb nicht vertauschen, weil in der gespannten Aufmerksamkeit des Publikums im zweiten Teil jedes Räuspern mit in das Klanggebilde aus dem Grenzgebiet zur Stille eingeht.

Dieser Dramaturgie folgt nicht nur die klug zurückhaltende, beide Teile verbindende Regie von Birgit Kronshage, sondern auch der umsichtige Dirigent Peter Tilling. Seine kurze Einführung stellt er wie eine gesprochene Ouvertüre dem pausenlosen, achtzigminütigen Abend voran. Ausstatterin Susanne Wilczek macht das Orchester (drei Streicher, drei Bläser, Klavier und Schlagzeug) zum Bestandteil ihrer Bühne. Die findet sich als Theatersituation zwischen den Musikern und einem Regal mit diversen Requisiten. Darauf befindet sich ein angedeuteter Raum mit einem kleinen Thronsessel davor. Stichworte zu den Liedern des Königs und zwei Zitate aus den Gesängen der Nonne ergänzen die Wirkung der von Rainer Scheerer als König in Englisch und von Verena Usemann als Nonne in Italienisch eindrucksvoll sinnlich gesungenen, herausgeschleuderten, sich abgerungenen, aus ihnen heraus brechenden Texte. Das Existenzielle, Grenzgängerische erschließt sich dabei nicht, Schritt für Schritt, aus dem einzelnen, meist im Diffusen bleibenden Wort, sondern in einem großen Sprung über die Intensität der beiden Protagonisten.

Am Anfang wird der König mit einer Maske vorm Gesicht hereingetragen und auf dem Boden abgelegt. Er sucht dann den Kontakt mit den Musikern, spricht mit sich selbst und einem Vogel im Käfig, hat eine Schärpe aus Frischhaltefolie wie eine Fessel um, schminkt sich am Ende sein Gesicht totenweiß, die Augen schwarz, die Lippen rot und verlässt schreiend um seinen eigenen Tod trauend den Raum. Die anfangs zu spät kommende Dame in grauem Rock und rosa Häkeljacke, ist als Hofdame im ersten Teil eine Art Krankenschwester des Königs. Zu Beginn des zweiten Teils dann bricht Dunkelheit herein und sie zusammen. Nach und nach wird diese Nonne zu den Atemklängen der Musiker von Worten ergriffen, die ihr blitzschnell und abrupt entweichen. Bei ihrer obsessiven Suche nach Gott, löst sich ihr Schatten von ihr, bis sie schließlich selbst, auch in ihrer unterdrückten Sexualität ihren Körper ertastend, bei sich selbst ankommt. Sie umwickelt sich wie in einer Selbstverstümmlung den Unterleib mit einer fesselnden Frischhaltefolie. Aus der war die Schärpe des Königs aus dem anderen Stück. Am Ende des beeindruckenden Abends sitzen beide nebeneinander und gebrochen am Boden. Die positive Reaktion der Zuschauer gibt der Entscheidung des Coburger Theaters für diesen experimentierfreudigen Ausflug in die Moderne Recht.