Foto: Leben im Mord-Badezimmer. Susanne Schimmack als Elektra © Ilja Mess
Text:Eckehard Uhlig, am 9. Februar 2018
Ein Triumph für die Sopranistin Susanne Schimmack: Sie zeigt sich Richard Strauss‘ mörderischer Elektra absolut gewachsen
Sich demütig fügen soll Elektra, wie es ihre Schwester Chrysothemis tut. Der Handlungsort auf der Bühne des Ulmer Theaters ist der Eckwinkel eines asymmetrisch aufgeschnittenen, verwahrlosten Badehauses. Hier haben einst die rachsüchtige Klytämnestra und Aegisth, ihr ehebrüchiger Geliebter, dem aus dem Trojanischen Krieg nach Mykene heimgekehrten Gatten Agamemnon ein blutiges Bad bereitet und den Griechen-Fürsten, der seiner Gemahlin unermessliches Leid zugefügt hatte, hinterrücks erschlagen. In der düster schimmernden Bläue des gekachelten, von Müll übersäten Badbeckens, das nach der Bluttat kein reinigendes Wasser mehr gesehen hat, haust nun in Lumpen gehüllt Elektra, eine der Töchter des entzweiten Königspaares, wie in einem Kerker-Verlies.
Susanne Schimmack gestaltet mit unerhörter Intensität die Titelfigur der archaischen, nach Hugo von Hofmannsthals Tragödie eingerichteten gleichnamigen Richard Strauss-Oper. Sie ist eine isoliert ausgesetzte, traumatisierte, ihrem Vater nachtrauernde, vom Hass auf ihre Mutter besessene Königstochter. Mit dunkel dräuendem Sopran, der gleichsam das Psychogramm ihrer Protagonistin in allen emotionalen Volten nachzeichnet, lebt Schimmack die stimmfolternd mörderische Partie sanglich bravourös aus. Gleich nach dem Auftritt einer wirr und unverständlich artikulierenden Dienerinnen-Schar steigert sie, mit dem Beil der Mörder hantierend, ihren ersten Monolog „Allein! Weh, ganz allein“ in einen Klangrausch hinein, der den Tag der Rache als triumphales Opferfest ausmalt.
Dann, in den dialogischen Szenen mit Chrysothemis, die von Edith Lorans mit hellem Timbre und forciert strahlenden Spitzentönen als Möchtegern-Hochzeiterin gegeben wird, changiert Schimmacks Stimme zwischen verzweifelter Dramatik und lyrisch weichen Tönen. In der elektrisierend aufgeladenen Konfrontation mit ihrer Mutter, die I Chiao Shih in einer auch musikalisch großartigen Charakterstudie als hinfällig gebeugte, von Alpträumen heimgesuchte und ihrer Würde kaum noch mächtige Königin zeigt, agiert die Ulmer Elektra mit überlegenem, für Klytämnestra tödlichem Spott.
Höhepunkt des von Matthias Kaiser kraftvoll inszenierten, von Detlev Beaujean (Bühne) und Angela C. Schuett (Kostüme) sinnfällig ausgestatteten Opern-Einakters, ist freilich die Erkennungsszene zwischen Elektra und ihrem – als Rächer Agamemnons sehnsüchtig erwarteten – Bruder Orest. Den führt Tomasz Kaluzny baritonal markant mit geradezu feierlichen Klängen ein. Hingebungsvoll blüht in dieser Passage die Schönheit der Strauss’schen Gesangslinien auf. Faszinierend wenig später der expressive Jubel, als Elektra den Todesschrei der von Orest gefällten Mutter hören und auch Aegisth (mit solidem Tenor: Hans-Günther Dotzauer) in die Todesfalle locken kann. Den Furien, die Elektra in einen ekstatischen Totentanz treiben und im Fortgang der mythologischen Erzählung Orest verfolgen werden, gibt Richard Strauss mit abruptem Abschluss keinen Raum.
Spannungsgeladen vom ersten bis zum letzten Takt und mitreißend klar funktioniert in der Ulmer Aufführung die musikalische Basis, für die Generalmusikdirektor Timo Handschuh und das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm mit umfassender Einfühlung Sorge tragen. Da gibt es heftige Wallungen und orchestrale Keulenschläge. In herben Konturen schreien Streicher, Bläser und Perkussionisten heraus, was auf der Bühne geschieht. Die bis an die Grenzen der Harmonik reichende Wucht ist brodelnd und elementar, wie es der Größe der antiken Tragödie gebührt. Vor allem aber kann dieser Orchester-Klangkörper sich dem dichterischen Text bis in feinste Nuancen anschmiegen und in plastischen Klangfiguren die Emotionen der mörderischen Bühnenakteure abbilden. Doch immer bekommen die Sänger die Chance, sich in den Klangmassen zu behaupten. Auch das ist ein Beweis für die Stimmigkeit des beeindruckenden Regiekonzepts.