Foto: Tristan (Michael Weinius) und Isolde (Linda Watson) in „Tristan und Isolde“ an der Deutschen Oper am Rhein © Sandra Then
Text:Regine Müller, am 21. Juni 2021
Aus der Pandemie-Not eine Tugend zu machen, verspricht nun auch die Deutsche Oper am Rhein mit einem interessant klingenden Projekt, das ausgerechnet Wagners Riesenformat „Tristan und Isolde“ kammermusikalisch aufbereitet und die drei Akte an drei aufeinander folgenden Abenden (vom 18. bis 20. Juni) serviert. Bei dem in diesen Dingen überaus erfahrenen Dirigenten und Komponisten Eberhard Kloke gab die Rheinoper eine ausgedünnte musikalische Fassung in Auftrag, inszeniert hat das Triptychon Dorian Dreher. Das Ergebnis dieses Experiments fällt allerdings ziemlich durchwachsen aus, und das nicht nur, weil die Spannung über drei Abende naturgemäß nur mühsam aufrechtzuhalten ist.
Erste Fragen stellen sich schon gleich zu Beginn, wenn Tristan einsam auf die Bühne stapft und auf einem Baumstamm Platz nimmt, während hinter ihm in Riesenlettern das Wort „Mythos“ aufscheint und eine Stimme aus dem Off Düsteres aus Aischylos‘ „Orestie“ raunt. Dann fährt ein Kammerensemble hoch und stimmt Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ nicht mit dem berühmten, einsamen Cello-Aufschwung aus dem Nichts an, das sich im zweiten Takt im noch berühmteren Tristan-Akkord auflöst, sondern mit dem nachtschwarzen Vorspiel zum dritten Akt. Dazu gesellt sich dann das solistische Englischhorn (Andreas Boege), das die „alte Weise“ noch mehrfach anstimmen und über die drei Abende auch darstellerisch eine Art Schlüsselfunktion einnehmen wird. Wie eine Art Todesbote oder Sensenmann taucht der Musiker immer wieder auf.
Dann geht es aber erst einmal weiter, wie in Wagners Partitur vorgesehen, allerdings sitzen die Musiker im Graben auf Abstand und ergo viel schlanker besetzt, einzelne Blechbläser-Abordnungen erscheinen oft hinten auf der Bühne, was auch akustisch interessante Effekte zeitigt.
Heike Scheeles Bühnenbild, das schmal dimensioniert und weit nach vorn gezogen ist, damit immer wieder auf gleicher Höhe, dahinter oder daneben noch Musiker Platz finden, zeigt dann eine Schiffskabine mit Treppe an Deck, die mit Vorhängen und einem Schrankkoffer ausgestattet seltsam altmodisch wirkt. Auch Ronja Reinhardts prunkvoll gravitätische Kostüme für Isolde (Linda Watson) wirken in ihrer Walle-Optik mit Flitter und Diadem fast schon komisch aus der Zeit gefallen, zumal alle Herren in schwarzen Alltagsanzügen stecken und Brangäne Scheußlichkeiten der 1980er Jahre trägt.
Mit der zugegeben statischen Handlung des ersten Aktes weiß Regisseur Dorian Dreher offenbar wenig anzufangen, denn es bleibt überwiegend bei Rampensingen und steifem Umeinander-Herumgehen, abgesehen davon, dass Brangäne sehr umständlich und allzu sichtbar den Todes- gegen den Liebestrank austauscht (der Clou besteht ja eigentlich darin, dass man nicht genau weiß, was nun wirklich in dem Becher ist?).
Der zweite Akt beginnt wieder mit einer Rezitation und der Musik des dritten Aktes. Nach einem wirkungsvollen Auftritt der Hörner naht die Liebesnacht und damit das längste Liebesduett der Musikgeschichte. In der Schiffskabine, die immer noch den Spielort bildet – oder soll das ein Konferenzraum sein? – ist ein Tisch mit Kerzenleuchtern aufgebaut, an Deck sitzen später sechs Menschen an einem Tisch, aber zum Duett kommt dann ein rot-goldener Theatervorhang zum Einsatz, vor dem das Liebespaar sich zum konzertanten Duett einfindet. Es passiert wirklich gar nichts. Auch der Kampf mit Melot, dem Tristan sich seine finale Wunde verdankt, findet nicht statt. Eine bewusste Kapitulation?
Im dritten Akt endlich findet das originale Vorspiel statt, auch klingt Klokes Fassung inzwischen dichter und reicher, zuvor hatten die Kammermusik-Farben zwar für überraschende Entdeckungen gesorgt, aber vielen wichtigen Passagen fehlten Wucht, Schärfe und damit auch dramatische Fallhöhe. Nun greift der Regisseur plötzlich mit vollen Händen in die Regietheater-Einfalls-Kiste: Tristan lungert nun an einer langen Bar herum, der Englischhornist beschallt ihn wie ein Schlangenbeschwörer, in der Ebene darüber sieht man ein heutiges Krankenbett, in dem man Tristans Alter Ego vermutet. Tatsächlich findet sich darin später das junge Liebespaar, das eben noch mit Tristan an der Bar saß. Doch ach, der junge Mann verstarb beim Liebesakt, das Mädchen wird später hochschwanger eingeblendet, auch sie stirbt, und zwar bei der Geburt ihres Kindes. Nun dämmert die Erkenntnis: Tristan träumt hier – schwer verwundet oder schwer angetrunken? – seine eigene Geburt? Und damit sein vorgezeichnetes Schicksal? Dann naht Isolde, Tristan reißt sich nicht die Verbände von den Wunden, weil er ja im Anzug recht gesund wirkt, sondern verschwindet einfach und wenn Isolde ankommt, ist, schwupps!, ein Sarg zur Stelle, sein letztes „Isolde!“ singt er aus dem Off. Markes finaler Auftritt und Isoldes Liebestod sind dann wieder pures Stehtheater, aber nun bevölkert sich langsam die Bühne mit immer mehr Musikern und dazu fährt der Orchestergraben hoch, was für einen wunderbaren, sonoren und zugleich schwebenden Raumklang sorgt.
Axel Kober im Graben hat an allen drei Abenden das logistisch heikle Geschehen sicher im Griff, Michael Weinius als Tristan ist in Bestform und derzeit mit seiner flexibel intonierenden, auch zu lyrischen Farben fähigen Tenorstimme einer der besten seines Fachs, Linda Watson steht schon seit einigen Jahren im Herbst ihrer Karriere und erreicht die Spitzentöne nicht mehr, darunter klingt ihr Sopran metallisch ausladend, sicher intonierend und wie gewohnt leicht unterkühlt. Das weitere Ensemble ist mit Richard Sveda (Kurwenal), Sarah Ferede (Brangäne) und Thorsten Grümbel (Marke) und den weiteren kleineren Rollen bestens besetzt.