Foto: Jonas Kaufmann in der Titelpartie von Wagners "Lohengrin" an der Mailänder Scala. © Monika Rittershaus
Text:Jörn Florian Fuchs, am 10. Dezember 2012
Schon wieder gibt es Herren im Frack und edel gewandete Damen. Erneut tauchen Kinder auf und verdoppeln die Hauptprotagonisten. Und schon wieder erlebt man die typisch Guth’sche Mischung aus Psychologisierung und surrealem Alptraumambiente. Diesmal hat Bühnenbildner Christian Schmidt ein Atrium gebaut, auf diversen Galerien sind die Chormassen positioniert, in der Mitte steht mal ein Baum, mal ein Schreibtisch mit darüber hängendem Lüster – bisweilen auch alles zusammen. Später fließt dort reales Wasser, das unglückliche Paar Lohengrin und Elsa von Brabant kauert an einem von Schilf umgebenen Steg. Immer wieder läuft Gottfried durch die Szenerie, ihn hatte Elsa ja angeblich getötet, nun irrt er als eine Art Widergänger umher. Elsa taucht noch mal als junges, Klavier spielendes Mädchen auf, das von ihrer Lehrerin gequält wird. Die schwarze Pädagogin erinnert verdächtig an Ortrud. Gelegentlich setzt sich auch die ältere Elsa ans Piano…
Irgendwie kennen sich in Claus Guths Interpretation von Wagners Ritteroper alle schon länger und von irgendwoher. Doch von woher genau? Das meiste bleibt rätselhaft, etwa eine kurze Begräbnisszene im ersten Aufzug. Tragen die düsteren Herren dort Gottfried im Sarg? Und als Gottfried zum Finale zurückkehrt, warum schmachtet ihn Elsa mit den Worten „mein Gatte“ an? Nur eines wird an diesem Abend überaus deutlich: sowohl Elsa wie Lohengrin sind in fragwürdiger psychischer Verfassung. Beide zucken immer wieder, kratzen sich und leiden wohl an seelischer Neurodermitis. Zueinander finden sie jedenfalls nicht.
So unausgewogen die Regie, so durchwachsen auch Daniel Barenboims musikalische Deutung. Wieder einmal konzentriert sich Barenboim ganz auf die schönen Stellen der Partitur. Eindrücklich kracht das Vorspiel zum dritten Aufzug, prächtig der recht präzise wummernde Bläserhochglanz. Doch es fehlt an Binnenspannung, außerdem gerät das Orchester der Scala oft technisch an die Grenze. Bei den Chören muss man wirklich von einem Totalausfall sprechen, kaum ein Wort ist zu verstehen, das meiste dröhnt übersteuert und grob in den Raum. Auch mit der kurzfristig für Anja Harteros eingesprungenen Annette Dasch wird man nicht recht glücklich. Schwammige Intonation, wacklige Phrasierung sind die Stichworte. Immerhin ist Dasch eine gute Sängerdarstellerin. Jonas Kaufmann braucht seine übliche Vorglühzeit, bevor er gaumig Gequetschtes endlich in strahlenden Schönklang verwandeln kann – exemplarisch in der Gralserzählung. Recht überzeugend waren die übrigen Partien besetzt, vor allem René Papes König Heinrich und Tómas Tómassons Telramund. Evelyn Herlitzius verfiel als Ortrud zwar immer wieder ins Brüllen, doch gelangen ihr auch zarte, berührende Momente.
Das Premierenpublikum reagierte mit freundlichem Applaus für die Musiker und spürbarer Reserviertheit für die Regie.