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Identitätsverwirrung im Galopp

Lucia Ronchetti: Lezioni di tenebra

Theater:Staatsoper im Schillertheater, Premiere:30.01.2014Autor(in) der Vorlage:Giacinto Andrea CicogniniRegie:Reyna BrunsMusikalische Leitung:Max Renne

Medea und Jason begegnen sich im Dunkeln und geben sich blind ihrer fatalen Leidenschaft hin. Argonautica 2.0 in den Dark Rooms der Berliner Clubszene? Weit gefehlt. Diese raffinierte Wendung des Jasonmythos hatte sich anno 1649 Giacinto Andrea Cicognini ausgedacht und lieferte dem Komponisten Francesco Cavalli das Libretto zur Oper „Giasone“. Im 17. Jahrhundert erfreute sie sich größter Popularität. Heute hält sich diese in Grenzen. Wer dennoch den endlos verworrenen „Giasone“-Plot präsent hat, kann in Lucia Ronchettis „Lezioni di tenebra“ an der Werkstattbühne der Staatsoper im Schillertheater davon profitieren.

Dieser wird hier nämlich nicht erzählt, sondern analysiert. Mit allen denkbaren Mitteln, die die Musik von Frühbarock, Moderne und Postmoderne parat hat. Zeitgenössische Perkussionslaute jeglicher Couleur regnen von der Empore auf den Streicherklang herab (musikalische Leitung: Max Renne), der wie Jasons Stimme zwischen wunderschön schmucklosen Frühbarocksegmenten und unsicher abrutschenden Geräuschklängen taumelt. Ronchetti legt in ihrer 2011 uraufgeführten „Reduktion“ von Cavallis Oper den Fokus ganz auf die „selbstgewählte Blindheit des Paares und die fortschreitende Verdunkelung ihrer Schicksale“ und exerziert diese Prämisse Szene für Szene durch. Ein Drama? Auf jeden Fall. Nur ohne viel Spannung, denn klüger als man am Anfang war, wird man nicht.

Spannung zu erzeugen bleibt vor allem den Sängern überlassen: Umwerfend sind Spannbreite und Wandelbarkeit, die die Sopranistin Olivia Stahn und der Countertenor Daniel Gloger stimmlich wie darstellerisch an den Tag legen. Beide haben nicht weniger als drei Rollen unterschiedlichen Geschlechts zu verkörpern, die sie zuweilen gegeneinander in den Dialog oder gar Streit führen – und dies in Reyna Bruns’ personenfokussierter Inszenierung mit geradezu beängstigender Glaubwürdigkeit. Ohne diese würde man im schizophrenen Galopp ständig neuer Identitätsverwirrung erliegen.

Klarheit stiftet ein wohltuend simpler Symbolismus in der Ausstattung (Stephan von Wedel): Alles schwarz wie die Nacht, nur vereinzelte Goldspuren erinnern an Jasons Mission, das Goldene Vlies zu finden. Der mächtige Torbogen, der anfangs noch einen goldenen Schleier trennend zwischen Jason und Medea hält, bleibt nicht lange stehen: Er fällt, er bricht, zum Schluss bleibt kein Stein auf dem anderen. Das war klar. 

Weitere Aufführungen am 7.2., 10.2., 27.6. und 29.6.