Foto: Matthias Brandt in "Mein Name sei Gantenbein" am Berliner Ensemble © Matthias Horn
Text:Barbara Behrendt, am 15. Januar 2022
Da steht er in einem großen, sich ins Schwarz verflüchtigenden Guckkasten. Umrahmt von Neonleuchten, die mal blau, mal rosa, mal grün aufstrahlen. Wir schauen Matthias Brandt beim Neusortieren der Gedanken zu. Als Erzähler des Romans „Mein Name sei Gantenbein“ probiert er Geschichten aus, die sein Leben sein könnten: „Ich stelle mir vor: Mein Leben mit einer großen Schauspielerin, die ich liebe und daher glauben lasse, ich sei blind. Unser Glück infolgedessen. Ihr Name sei Lila.“
Der neongerahmte Kasten lässt die Bühne des Berliner Ensembles wie ein von innen holzgetäfelten Fernseher wirken. Als schaue Brandt uns noch immer aus der Mattscheibe entgegen. Als Hanns von Meuffels war er ein Polizeiruf-Kommissar aus gutem Hause, ein Schweiger und Melancholiker, der sich in seine Einsamkeit zurückzieht. Dem jedoch stets im Gesicht geschrieben stand, dass es noch vieles zu enträtseln gäbe. Dieses sichtbare Denken beim Sprechen zeichnet sein Spiel nun auch auf der Bühne aus.
Die langen Reflexionspausen wirken mitunter zu affektiert, doch es entsteht ein psychologisches Spiel in vielen Variationen, die auch Max Frischs Selbstironie nicht missen lassen. Tragikomisch ist es schon im Roman, wenn Enderlin nachts die Schublade seiner Frau aufbricht und lange braucht, bis er in den dortigen Liebesbriefen seine eigenen erkennt. Brandt kostet den Moment der Überführung voll aus, rauft sich die Haare, torkelt betrunken, als er erst den langweiligen Lebenskitsch der Briefe bemängelt, darin keinerlei „Charakter“ findet, mit dem er sich messen könne – um dann in der Sekunde des Gewahrwerdens erschrocken in sich zusammenzusinken.
Oberflächliche Fassung
Die Frage der Identität, Frischs Lebensthema, steht über allem. Zentral aber ist der Satz: „Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung.“ Wie also erzählen über einen Menschen, wie seine Lebenserfahrungen zu einer Geschichte zusammensetzen? Im postdramatischen Theater ist die gespaltene Identität nichts Neues: Überall spielen Schauspielerinnen fünf Rollen am selben Abend. Doch Frisch interessiert sich nicht für die Spaltung der Identität, sondern sucht nach deren Zusammenführung. Er lässt seinen Erzähler immer neue Variationen derselben Geschichte erfinden. Die traumatische Erfahrung dahinter ist das Zerbrechen einer großen Liebe.
Oliver Reese hat den Roman auf schmale 24 Seiten verkürzt und arbeitet sich oberflächlich an den Grundthemen ab: die Verwandlung des Erzählers zu Gantenbein, der vorgibt, blind zu sein sowie das Zusammentreffen mit der Edel-Prostituierten Camilla Huber, die Gantenbein vorspielen kann, sie mache Maniküre. Der verliebte Enderlin kommt vor, der verlassene Ehemann Svoboda. Eine ästhetische Idee für die Inszenierung des Textes scheint der Regisseur allerdings nicht zu haben.
Matthias Brandt zieht verschiedene Accessoires aus den Wänden des Bühnenrahmens, mit denen er das Geschehen illustriert. Kleidungsstücke, die selbstverständlich gewechselt werden müssen wie die Geschichten. Eine Blindenbrille, einen Stock, ein Whisky-Glas. Dazu rieselt eine halbjazzige Fahrstuhlmusik durch den Raum. Plump und einfallslos wirkt das. Der tastenden, poetischen Vorlage wird es nicht gerecht. Es offenbart sich einmal mehr die Krux von Romanadaptionen: Frischs Buch ist ein für sich stehendes literarisches Werk – will man das Spiel mit Identitätsausformungen fürs Theater fruchtbar machen, muss ein Regisseur eine Form finden, in die sich diese poetologische Suche nach der Erzählung theatral übersetzen lässt.
Matthias Brandt zeigt auf der Bühne, dass er ein virtuoser Sprecher ist, der jedes Wort verdeutlichen kann – manchmal sogar zur Überdeutlichkeit neigt. Eine Regieleistung ist es hingegen nicht, den zusammengestrichenen Romantext im Neonrahmen von einem Fernsehstar sprechen zu lassen.