Foto: Das Isango-Ensemble in "A Man of Good Hope" © Keith Pattison
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 24. Mai 2018
Die Gewalt wird zum Alltag. Nach dem ungesühnt bleibenden Mord an seinem Geschäftspartner hat Asad seinen Laden in den Townships von Pretoria wieder mühsam aufgebaut. Die bunten Kisten stapeln sich zu kleinen Schutzmauern. Ein Notenpult dient als Theke. Doch der Mob kehrt zurück. Asad ist Somalier und genau daran ‚erinnern‘ ihn die Schläger: „Ihr Somalier klaut uns alles. Du bist ein Migrant, ein Mensch zweiter Klasse“. Da bricht es aus dem wütenden Asad heraus. „Ich bin nicht schwarz“, brüllt er den Angreifern entgegen. Im erbitterten Streit um die Blackness verweist er auf seinen Clan, der 35 Generationen, also 1000 Jahre, zurückreicht. Mit anderen Worten: Somalischer Hochadel trifft auf südafrikanischen traditionslosen Pöbel. Es wird die einzige Szene bleiben, in der Asad, der „Man of good Hope“, seine Fassung verliert.
Das Stück, das im Rahmen der Ruhrfestspielen gezeigt wurde, geht auf den gleichnamigen Roman des südafrikanischen Journalisten und Autors Jonny Steinberg zurück. Ein negativer Bildungsroman, in dessen Zentrum Asad und seine Migration von Somalia nach Südafrika steht. Die ‚Reise‘ konfrontiert diesen hoffnungsvollen und naiven Fürst Myschkin mit Begleiterscheinungen wie Schleusertum, Korruption, Betrug, Gewalt und Mord. Die Inszenierung von Regisseur Mark Donford-May und dem Isango Ensemble aus Kapstadt, das in Europa vor allem durch seine Opernadaptionen von „Carmen“ oder „La Bohéme“ bekannt geworden ist, macht daraus ein musiktheatralisches Lehrstück der Desillusionierung.
Wellblechwände und sieben Marimbas säumen die Bühne des Theater Marl. Der Abend beginnt nach einer Ouvertüre mit der ersten Gewalterfahrung für den jungen Asad. Seine Mutter wird am Ende des somalischen Bürgerkrieg 1991 von Milizen, die Diktator Siad Barre vertreiben, erschossen. Ein mit Packpapier bespannter Türrahmen, ein paar Papp-MGs reichen, um daraus eine brutale Szene zu machen, die in ein bewegendes chorisches Lamento überführt wird. Gewalt wird zu einer permanenten Sozialisierungserfahrung, die sich durch das ganze Stück hindurchzieht. Nach dem Mord beginnt Asads große Odyssee. Er trifft seine Cousine Yindy (Paulina Malefane), pflegt sie, als sie in Clanstreitigkeiten schwer verletzt wird, flüchtet mit ihr nach Kenia, muss aber zurückbleiben, als sie ein Visum für die USA bekommt. In Äthiopien wird er von Rooda in die Gepflogenheiten des Handels eingeführt, steigt zum Klein-Unternehmer mit Truck auf und heiraten Foosiya (Cikizwa Rolomana), die zunächst stolz von den USA und Europa träumt. Doch so sehr die individuellen Beziehungen funktionieren mögen, wie ein roter Faden ziehen sich die Rassismen zwischen Somaliern, Äthiopiern oder Südafrikanern durch das Stück. Und selbst auf der Ebene des Clans kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen, die wiederum eng mit der Kolonialgeschichte zusammenhängen. Das eines der zentralen musikalischen Leitmotive sich mit der Aufzählung der Clannamen verbindet, wirkt dabei fast schon sarkastisch.
Die Produktion überzeugt vor allem durch ihre kongeniale Verbindung von Musik und Szene, Dialogen und Gesang, für die es im europäischen Theater keine Entsprechung gibt. Die Komponisten Mandisi Dyantyis und Paulina Malefane bedienen sich dabei virtuos aus dem gesamten Fundus von afrikanischer bis europäischer Musik, galoppieren in der Szene von Asads Grenzübertritten durch die Musikstile Tansanias, Kenias und Zimbabwes oder lassen europäische Kunstmusik in Arien, Chor- und Tanzsätzen anklingen. Was auf musikalischer Ebene gelingt, lässt auf inhaltlicher Ebene eher zu wünschen übrig.
Die Regie erzählt die Geschichte von Asad, der von den vier Darstellern Ayanda Siyabonga Tikolo, Thandolwethu Mzembe, Zoleka Mpotsha, Siphosethu Juta verkörpert wird, zwar als eine Coming-of-age-Geschichte der Demoralisierung. Doch der Zwiespalt zwischen Asads naiver Hoffnung und Gutgläubigkeit und seiner eigenen Prägung durch seine Clanzugehörigkeit wird nicht als charakterlicher Zwiespalt ausgedeutet. Der Abend folgt zwar seiner Hauptfigur, die sie sich immer wieder eine berufliche und private Existenz aufzubauen versucht. Doch vor allem im zweiten, südafrikanischen Teil wird Asads Irrfahrt eher zum Lackmusstreifen, an dem die Probleme des Landes sichtbar gemacht werden: Die verwirrende Mischung aus nationalistischen und Clan-Rassismen, die von der Polizei gedeckten Morde und Anschläge, die Verstoßung von Frauen, die die Ehre der Familie verletzt haben sollen. Am Ende erhält Asad endlich das ersehnte Visum für die USA – dass er dort glücklich wird, darf man bezweifeln.