Foto: Szene aus „Amerika" in Bruchsal © Peter Empl
Text:Manfred Jahnke, am 22. Februar 2019
Kafka-Texte zu spielen, hat, seitdem Carsten Ramm Intendant ist, an der Badischen Landesbühne Bruchsal Tradition. Nach „Das Schloss“, „Process_Matrix“ und „Der Bau“ hat nun Carsten Ramm „Amerika“ für die Bühne in Szene gesetzt. Die Geschichte von Karl Roßmann, der, weil er ein Dienstmädchen schwängerte, von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird, hat ihre Tücken. Denn Roßmann ist ein tumber Held, der nur am Anfang aktiv ist, wenn er den Heizer zu seiner Verteidigung gegenüber dem Kapitän ermuntert. Ansonsten gerät er in seiner gesellschaftlichen Abwärtsspirale immer ohne eigenes bewusstes Verschulden in Bedrängnis. Er bleibt immer Spielball der Anderen. Dieser Passivität muss man schon mit einem eigenen Kraftfeld begegnen, aber Colin Hausberg bleibt ein unbeteiligter Beobachter seiner selbst als Roßmann.
Doch der Reihe nach. Tilo Schwarz hat eine Bühne geschaffen, in der eine große verfallene Wand an eine Backstage-Kulisse erinnert, die, wie nachzulesen ist, ein verfallenes Autokino präsentieren soll, aber als solches glücklicherweise nicht angespielt wird. Zwei Tische, ein paar Stühle, und ein Bett ergänzen nach Bedarf dieses Bild. In diesem Ambiente erzählt Ramm die Geschichte vom „Verschollenen“, wie „Amerika“ in der ursprünglichen Fassung hieß. Er hält sich dabei eng an den Text, strafft ihn, lässt auch Episoden verschwinden, wie die, wenn Karl von der Polizei verfolgt wird, oder legt Figuren zusammen, hier gibt es kein Fanny, die er im Casting für das Naturtheater in Oklahoma trifft. Fanny wird hier zur Therese, die Sekretärin der Oberköchin, die ihn im Hotel bis zur scheinbar bitteren Enttäuschung protegiert hat (und konsequent muss die Giacomo-Szene entfallen).
Ramm erzählt dabei die Geschichte in einer doppelten Rahmung. Wenn zu Beginn vom Band der patriotische Song „America“ von Trini Lopez in einer übersteuerten Lautstärke ertönt, die leider zum Signum der Aufführung wird, so singt am Ende live das siebenköpfige Ensemble an Mikrofonen – mit Ausnahme von Hausberg, der Mikroport trägt – den Song „The carnival is over“ der Seekers (1967). Die zweite Rahmung ist, dass Anfang und Ende der Erzählfragmente von Kafka original vorgetragen werden. Am Mikrofon. Konsequent wechseln in der Vorstellung Erzählpassagen und Dialog, wobei das narrative Moment immer die Oberhand behält. Da das siebenköpfige Ensemble bis auf Hausberg mehrere Rollen zu spielen hat, versucht Ramm Differenzierungen auf unterschiedliche Art und Weise zu entwickeln. So spricht der Kapitän des Stefan Holm ein steifes Hamburgisch und verlangsamt als Student die Sprache. Oder Markus Wilharm hat seine Rolle als Heizer als Stotterer anzulegen, was allerdings das Tempo der Inszenierung strapaziert.
Spielorte werden zusätzlich mit Videobildern illustriert. Dennoch gelingt es der Inszenierung nicht, ein Spieltempo zu entwickeln. Selbst dort, wo Slapstick eingesetzt wird, wie in der Szene, wo der Oberkellner des Markus Hennes, der Karl sein Vergehen vorwirft und dabei immer ein Buch herum zu wuchten versucht, treten die Akteure auf der Stelle. Auch die Ausdeutung der Rolle der Klara von Elena Weber bleibt problematisch. Sie zieht Karl an seiner Krawatte hinter sich her. Ihre körperlichen Angebote sind sexsüchtig. In der Bearbeitung von Ramm ist Mack weggelassen, mit dem sie verlobt ist. Aber auch als Therese muss Elena Weber erst „I’ll be your mirror“ von Velvet Underground (1966) einfach nur stehend am Mikrofon singen und dann die Geschichte vom Tod ihrer Mutter heraus schreien. David Meyer als Robinson und Markus Hennes als Delamarche haben nur wenig Möglichkeiten, Stan und Laurel-Situationen durch zu spielen. Evelyn Nagel als Brunelda zeigt große (künstliche) Brüste, aber meist ist sie nur von hinten zu sehen.
Ramm erzählt die Geschichte von Kafka ohne aufgesetzte Aktualisierungen. Keine Anspielungen auf Trump, auch, wenn der Begriff „Präsident“ fällt und es sofort Lacher gibt. Erst zum Schluss, wenn das Ensemble den Song der Seekers singt und sich darüber sich ständig steigernde, immer gewalttätiger wirkende Marschtritte legen, wird das Negativ des „American of life“ überdeutlich. Im Video sind junge Menschen zu sehen, die sich sammeln und sich immer mehr in Totenköpfe verwandeln. Da macht es Sinn, dass im Programmheft Brecht zitiert wird, der in Kafka jemanden sieht, der in seinen Texten die Konzentrationslager vorab beschrieben hat. Aber auch, dass im Foyer und im Programmheft auf die Erklärung der Vielen hingewiesen wird.