Foto: Vivienne Causeberg und Nico Raschner in "Abfall Bergland Cäsar" am Vorarlberger Landestheater Bregenz © Anja Köhler
Text:Manfred Jahnke, am 10. Juni 2022
Schon zu Lebzeiten des viel zu früh verstorbenen Werner Schwab (1958-1994) haben Stephanie Geiger und FM Einheit seine Stücke in Szene gesetzt. Wiederholt haben die beiden mit dem Prosatext „Abfall, Bergland, Cäsar. Eine Menschensammlung“, deren erster Band 1990 und die endgültige Fassung 1992 erschien, auf der Bühne gearbeitet. Von A bis Z, das ganze Alphabet durchbuchstabierend, erzählt Schwab in diesem Werk mit seiner eigentümlichen Sprache dystopische Geschichten von Menschen, die scheitern und sich selbst zerstören. „Fleisch“ (ein Material, mit dem der Autor als bildender Künstler arbeitete), Fäkalmetaphern sowie der stetige Bezug auf das Künstlertum in all seinen Facetten sind in diesen miniaturhaften Porträts immer neu aufgeworfene Motive, die sich auch in seinen Theaterstücken wiederfinden.
Stephanie Geiger und FM Einheit buchstabieren am Vorarlberger Landestheater Bregenz nicht das ganze Alphabet von Schwab in ihrer Performance durch, sondern beschränken sich auf die Buchstaben A, M, C, D, O, K, L und XY (in dieser Reihenfolge ). Dafür bringen sie aber ganz viel Ton- und Videomaterial aus ihren alten Inszenierungen mit und setzen es in einen neuen Rahmen. Da wäre zunächst einmal die Verwandlung der Bühne in eine Beisl (also ein österreichisches Wirtshaus) zu nennen, ein wunderschönes Sammelsurium von alten Tischen, Stühlen und Lampen. Hier nimmt das Publikum Platz, kann an der Bar im Hintergrund der Bühne Getränke holen. Aber auch Vivienne Causemann und Nico Raschner agieren zumeist auf der Bühne, wuseln zwischen den Tischen, sie springt auch einmal auf einen der Tische oder ordnet Gläser. Er, später auch Sie, steht an einem Pult, um Texte vorzulesen – denn sie spielen keine „Rollen“, sondern fungieren eher als Rezitatoren.
Der Zuschauerraum ist mit weißem Leinen verhüllt. Da die Sitzreihen ansteigen, entsteht das Bild einer eisigen Berglandschaft. Weiter gibt es in diesem rechts vorne einen hohen Tennisschiedsrichtersitz, auf dem zu Beginn Nico Raschner agiert, und hinten links auf der Höhe einen weiteren solchen Sitz, der einmal von Vivienne Causemann bespielt wird. Sie wie Er sprechen die gesamte Aufführung über mit Mikroport, laut gesteuert und aggressiv wirkend – ein Effekt, der sich mit dem Narrativ von Schwab verbindet. Zudem deckt sich dieser Vorgang mit dem Sprachkonzept der Regie, die zunächst einen sachlichen, fast emotionsfreien Redestil wählt. Sobald aber das Ensemble sich durch die Räume bewegt, wird mit der Bewegung auch der Sprachduktus freier, zumal nun – anders als am Anfang – Mimik und gestische Unterstreichungen zugelassen sind.
Gesamtkunstwerk aus Bild und Sound
Das Sprechen ist nur ein Teil der Performance, die nicht nur eine Hommage an Werner Schwab ist, sondern vielmehr ein Gesamtkunstwerk aus Stimme, Videoprojektionen und atmosphärischer Musikcollage. Dabei können die Videos in zwei Kategorien eingeteilt werden: Zum einen sind es historische Videos und Tonbänder, auf denen Werner Schwab zu hören ist, und alte Videos von der 2011 verstorbenen Jennifer Minetti, die Einleitungstexte zu einzelnen Figuren (also Buchstaben) liest. FM Einheit lässt diese Videos auf die Berglandschaft im Zuschauerraum projizieren, was durch die Faltung des Materials verblüffende Effekte mit sich bringt: Das Gesicht von der Minetti splittert sich in verschiedene Facetten. Die Brüchigkeit der Textstrukturen bei Schwab findet eine optische Entsprechung: Alles scheint sich aufzulösen.
Zum anderen gibt es neben diesem „historischen“ Material in der Inszenierung pausenlos Videos mit eher abstrakten Zeichen, Wellenbewegungen, vor- und rückwärts, Farbexplosionen, verfremdete Käferströme oder Schlangenköpfe, abstrakte Zeichenlinien, dann wieder den Querschnitt eines Erdstreifens, der in den porösen Boden einer Mondlandschaft übergeht, schließlich grellrote Fanale. Die Bilder stehen nur still, wenn sich ein Buchstabenwechsel ankündigt. Dann erstarrt die Bewegung für einen kurzen Augenblick. Auch die Musik schweigt, bevor neue Bilder generiert werden, aber diese folgen stets dem Rhythmus der Musik.
Am Anfang erscheinen die Klänge fast unauffällig, man hört sie, aber als Zuschauer wird die Konzentration auf die Stimme gelenkt. Im Verlaufe des Abends ändert sich das, drängt sich die Musik vor, wird, je radikaler – und verzweifelter – die prekäre Situation einer künstlerischen Existenz in den Vordergrund rückt, aggressiver bis hin zum Dröhnen einer Bohrmaschine. FM Einheit hat in seinen Kompositionen genau in den Text hineingehört. Sie spiegeln den Rhythmus der Prosatexte, geben den Spielern Tempi vor, die zum Schluss hin immer schneller zu werden scheinen.
So entsteht eine Performance, in der Stimme, musikalische und visuelle Gestaltung eine magische Einheit bilden, in der auch das Sprechen sich zum Sound verwandelt. Diese Verzauberung bedeutet auch, dass man zum Ende hin nicht mehr den Inhalt der einzelnen Schwab’schen Porträts wahrnimmt, sondern ganz von der Welt der Töne und Farben eingenommen wird und damit dem Grundgefühl dieser Texte sehr nahekommt: Wut, Verzweiflung, disparate Hoffnung. Ein beeindruckender Abend im unterfinanziertesten Theater nicht nur der Bodenseeregion, sondern ganz Österreichs. Was Stephanie Gräve als Intendantin auf die Bühne des Landestheaters Bregenz bringt, verlangt höchsten Respekt.