Foto: Alles, was Tanz kann: Das zeigt das Ensemble Ballett Rossa. © Yan Revazov / Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle
Text:Ute Grundmann, am 29. November 2020
Füße streben in die Höhe, sinken wieder herab; Finger strecken und ziehen sich wieder zurück. Aus der Menge entsteht, erhebt sich eine übergroße Gestalt, windet sich und winkt, fügt sich in die Menge, vielleicht war er freundlich gesinnt. Von sanften, langsamen Streichern getragen, beginnt so im Opernhaus Halle „Art*House“, die zweite gemeinsame Arbeit von Ballettchef Michal Sedláček und Komponist und Schlagwerker Ivo Nitschke. Lange hatte man auf eine Bühnenpremiere gehofft, doch nun blieb nur der Stream – und dessen Countdown tickte eine kunterbunte Uhr herunter. Ebenso auffällig der Untertitel „Ballett- und Musikspektakel“, doch das Projekt bietet viel mehr: Es ist eine Hommage an die Welt des Tanzes.
Denn die 18 Tänzer des Ballett Rossa, die „Masse“ des Beginns, erheben sich wieder, laufen gegen den Riesen an und um ihn herum, versuchen zu fliegen, erstarren – und werden ausgeblendet, wie alle Szenen dieses Abends, der auf die erste Zusammenarbeit „Groovin‘ Bodies“ folgt; dies war auf der Raumbühne ganz Klang und Bewegung, eine wunderbare Symbiose aus Schlagwerk und Schritten (siehe hier unsere Kritik).
Ganz anders nun auf der Opern-Guckkastenbühne, die mal rostrot, mal blau leuchtet, gerne in Nebel getaucht wird und auf der auch die Scheinwerfer tanzen lernen (Licht und Bühne: Matthias Hönig). Komponist Ivo Nitschke hat diesmal seinen Streicherkollegen der Staatskapelle Halle den Vortritt gelassen – und begleitet dann mit hart-präzisen Kastagnettentönen einen Pas de deux. Aus der Begleitung wird ein Solo, ergänzt um eine Trommel (Ralf Schneider als 2. Schlagwerker), dann bewegen sich kleine Lichter, von Tänzern getragen, aus der Lichterkette wird ein Käfig für eine Tänzerin, die sich am Boden quält, dreht und befreit.
So reihen sich die einzelnen Abschnitte, die das Live-Prinzip vertonen und vertanzen: Tanz, Kunst entsteht und besteht in diesem Moment und vergeht, wenn der Künstler die Bühne verlässt. Leider bleibt die Kamera von Yan Revazov (einstiger Solotänzer) nicht neutral: Sie begleitet den Tänzer zur Bühnenseite, geht auch mal aus der Totale in die Nahaufnahme, zoomt auf Bewegungen der Füße und Hände. So wird der Blick immer wieder gelenkt, statt den Zuschauer selbst wählen zu lassen. Zu sehen gibt es eine Menge, denn Sedláček und Nitschke spielen fast alles durch, was Tanzen kann: Wie aus ein, zwei, drei Solisten eine Gruppe wird, Paare sich finden und trennen. Wie eine Frau auf- und über einen Mann hinwegtritt und daraus ein Hand-Fuß-Kampf entsteht. Die Tänzer, in schwarz-weißen, weiten Hosen und schwarzen Tops festlich gekleidet (Kostüm: Cordula Erlenkötter), können sich wiegen, aber auch marschieren.
So variantenreich ist auch die Musik: hallende Glockenklänge, schroffe Bläser, hohle Schläge, sanfte Tupfer, schwingende Streicher und oft tonangebend das Marimbaphon. So kann in „Art*House“ auf ein Schlaggewitter eine coole Disco-Szene folgen: Frauen in lila Shirts und Shorts tippen einen Fuß auf, schnippen mit zwei Fingern, bewegen minimal die Arme, tanzen im Stand – und eine Fanfare jubelt. Fast krächzend kommentiert dagegen die Posaune, wie eine Tänzerin ihren Schlips ablegt und das zur lasziven Szene macht. Nach 90 Minuten kehren Sedláček und Nitschke zum Anfang zurück: Der Riese und die Menge kauern wieder, doch Oberkörper und Köpfe recken sich in die Höhe – hoffnungsvoll?