Foto: Grell, aber etwas hohl: "Ubu" an der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven. © Volker Beinhorn
Text:Jens Fischer, am 14. Januar 2013
Ein Königsdrama Shakespeare’scher Dimension, beschleunigt zur Kaspertheater-Farce, dabei mit jugendlich höhnischer Spaßwucht die dramatischen Konventionen der Zeit mal eben weggesprengt und die Hauptfigur literarisch persiflierend derart zurechtgehobelt, bis sie ordinär, verfressen, selbstmitleidig eitel in ihrer feigen Kleinbürgerschäbigkeit kenntlich wird. Sozusagen die psychologische Ursuppe für Operettenfürsten, Tyrannen, Massenmörder. Ein verführerisch scharfes, dampfendes Klanggebräu für dieses „Ubu, König“-Spektakel bestellte die Landesbühne Niedersachsen Nord bei „Mardi Gras.BB“, ein Mannheimer Orchester, das live im Schweiße der New-Orleans-Jazz-Schwüle funky zu rocken versteht und tanzanimierende Blechbläserkunst zelebriert. Wenn all diese Zutaten einem Regisseur überlassen werden, um sie mit sprühender Phantasie auf der Bühne anzurichten, müsste das Theater aus allen Nähten platzen: explodieren vor lauter Aufführungsüberdruck. So euphorisiert in ihrer Erwartung waren viele Wilhelmshavener. Füllten ihr Stadttheater. Aber alle Steine blieben aufeinander.
„Mardi Gras.BB“-Sänger Jochen Wenz hat zwar neue Texte auf alte Songs gereimt, ohne aber an den denunziatorischen Sprachwitz Alfred Jarrys heranzukommen. Und Wenz’ herrlich ölig stilisierte Sangeskunst ist die Sache der Darsteller nicht, sie intonieren ordentlich, also eher langweilig, addieren aber große Showgesten, um die Songs auch als kleine Ego-Präsentationen ihrer Figuren zu nutzen. Der Theaterband ist dabei auch solides Handwerk zu bescheinigen, aber kein Funke zündet zum „Mardi Gras.BB“-Feuer.
Bleibt Jarrys anarchistisches Vermächtnis, Teil 1 und 3 seiner Ubu-Trilogie sind zu erleben: Erst zwingt der titelgebende Antiheld der Welt seinen Willen zur Herrschaft auf, dann den zur Knechtschaft. Es geht jeweils um Freiheit: jedweden Antrieb immer sofort exzessiv ausleben – oder freiwillig immer das tun zu können, was einem gesagt wird. In der Gestalt Christoph Sommers kommt der Ubu herrlich feist daher, mit schmuddelgelb versifftem Unterhemd über dem gemütlichen Wanst. Angestachelt von der Frau Mutter, usurpiert er einen Thron, lässt seiner grenzenlosen Habgier freien Lauf, massakriert zudem lustig drauflos und die vorerst Überlebenden haben nach seinen kruden Wünschen zu tanzen. Man kann das als zeitlose Verulkung gewissenloser Machtmenschen verstehen: Als Napoleon-Parodie ist Ubu auch auf der Bühne zu sehen. Beängstigender scheint, dass aus Ubu das nicht ganz Bewusste des Spießers spricht, die Abgründe der Dummheit machen ihn zum grotesk ungeschminkten Bösewicht, einen Menschen im Rohzustand: ein Monster, das hinter der Wohlanständigkeit lauert.
Ingo Putz schließt aus der Infantilität des Ubu das Regiekonzept: Kita-Tohuwabohu. Dem juxigen Anspielungsreichtum Jarrys addiert er seine Film- und Theaterverweise, lässt im Bühnenbildmix aus Geisterbahn und Zirkus immer neue grusellustige Gestalten hereinfahren, -stolzieren, -taumeln, -trotteln, -stolpern, -fallen. Übermütig tobt das Ensemble von einem Jokus zum nächsten. Die Revue der kindlichen Verspieltheiten soll mit unbeirrt hohem Tempo und auf immer gleichem Schrillschraubenniveau beeindrucken. Was zweieinhalb Stunden einfach nicht funktioniert. Ständig um Irrwitz bemüht, wird der Wahnwitz hinter dem Treiben nicht deutlich. Der Wettkampf zwischen Schrecklichkeit und Lächerlichkeit findet nicht statt. Ohne Jarrys Wutkraft als Antrieb – bleibt nur eine turbulent schale Lustbarkeit.