Fantastische Welt

Jacques Offenbach: Hoffmanns Erzählungen

Theater:Deutsche Oper am Rhein, Premiere:13.04.2025Regie:Tobias Ribitzki, 1927, Neville Tranter, Nanine LinningMusikalische Leitung:Frédéric ChaslinKomponist(in):Jacques Offenbach

In vier verschiedenen Regiehandschriften wird an der Deutsche Oper am Rhein Offenbachs Opéra-fantastique „Hoffmanns Erzählungen“ als Koproduktion mit der Oper Graz inszeniert. Mit Animation, Puppenspiel und Choreografie ist der Abend ein außergewöhnliches Erlebnis.

Stella, Olympia, Antonia, Giulietta und die Muse – um diese Figuren drehen sich die fünf Akte von Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Durch sie werden zwischen Wirklichkeit und Illusion Teile aus dem Liebes- und Leidensweg des romantischen Künstlers dargestellt. Eingebettet in die Rahmenhandlung des ersten und fünften Aktes (Vor- und Nachspiel) sind drei von Hoffmanns Erzählungen: „Der Sandmann“, „Rat Krespel“ und „Die Abenteuer der Sylvesternacht“.

Mit der Rahmenhandlung umfasst Regisseur Tobias Ribitzki das genie- und wahnhafte Biopic Hoffmanns mit der Dichterkammer. Wein, eine brennende Kerze, noch leeres Papier – so sitzt er auf der sonst freien Bühne am Tisch vor dem roten Theatervorhang. Dieser öffnet sich gleich darauf zur fantastisch-skurrilen Welt seiner Erzählungen. „Die Muse kommt aus einem Fass“, singt Hoffmann mit bewegten Lippen scheinbar selbst, bevor die Muse, gerade noch hinter ihm versteckt, hervorspringt und ihn von da an als Figur durch die Handlung begleitet. Ihre Aufgabe ist es, Hoffmann vor einer erfüllten Liebe zu bewahren. Denn nach dem romantischen Künstlerbild ist dieser durch Leiden und Sehnsucht inspiriert. Hinzu kommt Hoffmanns Geliebte Stella, die, von ihm unbemerkt, den Erzählungen folgt.

Idealisierte Liebe

Sobald sich der Theatervorhang öffnet, verschwimmt die Dichterfigur mit ihren erdachten Charakteren. Im Zweiten Akt erwecken Paul Barritt und Esme Appleton des Kollektivs „1927“ Hoffmanns „Sandmann“ zum Leben. Olympia, in die Hoffmann sich verliebt, ist die Schöpfung des Physikers Spalanzani und seinem Geschäftspartner Coppélius. Sie ist perfekt, göttlich, aber eben eine Maschine. Dieses objektifizierte Frauenbild animieren „1927“ auf die Bühnenrückwand und kommentieren es mit einem aktuellen Blick. Mit einer Art VR-Brille taucht Hoffmann in eine Welt ein, wo Sopranistin Elena Sancho Peregs singender Kopf mit projiziertem Puppenkörper ihn in ihrer bizarren Zahnradwelt verführt. Ein fabelhaft-gruseliges Schauspiel. Hoffmann, völlig seinem Idealbild ausgeliefert, wird zur liebestollen Witzfigur. Erst als Coppélius Olympia, von Pereg auch in der Höhe weichem und klarem Sopran gesungen, in funkenfliegende Kleinteile zersprengt, wird er sich seiner Illusion bewusst.

Klappmaulpuppen in „Hoffmanns Erzählungen“ an der Deutschen Oper am Rhein

Bogdan Talos (Dr. Miracle), Statisterie der Deutschen Oper am Rhein (Puppenspieler:innen) © Barbara Aumüller

Für die „Rat Krespel“-Erzählung im Dritten Akt hat Neville Tranter acht lebensgroße, skurril-komische Klappmaulpuppen entwickelt. Geführt werden sie von jeweils eine:r Sänger:in und Statist:in. Die Ratstochter Antonia, eine weitere große Hoffmann-Liebe, leidet unter dem Fluch und Segen ihrer verzaubernden Singstimme. Sie darf sie nicht benutzen, weil sie sonst stirbt. Nur Antonia, von Sopranistin Darija Auguštan mit agil-transparenter Stimme gesungen, Hoffmann und die Muse werden nicht durch Puppen verkörpert. So erscheinen sie durch ihr Agieren unter ihnen aber selbst wie Fantasiewesen. Als zusätzliche Figur und Gegenentwurf zu Hoffmann hat Tranter die Puppe Min entwickelt, die, anders als der mehr in die Liebe verliebte Dichter, sich wirklich um Antonia sorgt.

Erlebnisreiche Inszenierung

Als Choreografie ist der Vierte Akt von Regisseurin und Choreografin Nanine Linning angelegt. Nach unerfüllter Liebe sucht Hoffmann sein Glück bei der Kurtisane Giulietta, die ihn schließlich heimtückisch seines Spiegelbilds beraubt. Die Bühne wird hier zu einer Art Unterwasserwelt, in welcher der blau gekleidete Chor hin und her wogt und die Erzählung auf die Bühne spült. Angestachelt von ihren Gefährten Schlémihl und Pitichinaccio entfacht Giulietta, in glitzerndem Kleid dargestellt von Mezzosopranistin Sarah Ferede, Hoffmanns Eifersucht, bis er beide umbringt. Ein gigantisch gespiegelter Schaukasten dient als zentrales Bühnenelement, wird mal zum Reflektions-, mal zum Handlungsraum, in dem Hoffmann verzweifelt wortwörtlich sein Gesicht verliert. Mit schwarzer Maske sucht er einen Ausweg aus seinem Leid und Wahnsinn.

In einem Spiegelkasten kämpft Hoffmann gegen Pitichinaccio

Ovidiu Purcel (Hoffmann), Andrés Sulbarán (Pitichinaccio), Sarah Ferede (Giuiletta) © Barbara Aumüller

All dies wird mit einem runden Klang aus dem Orchestergraben begleitet. Unter der Leitung von Dirigent Frédéric Chaslin kommentiert die Düsseldorfer Symphoniker genau das Bühnengeschehen und verstärken den Hoffmann-Zauber musikalisch. Auch der Chor (Einstudierung: Gerhard Michalski) bringt präzis platzierte Einsätze von auf, aber auch hinter der Bühne. Tenor Ovidiu Purcel singt und spielt Hoffmann überzeugend als seinem Leidensschicksal ergebener Künstler, begleitet von Maria Kataeva als Muse, die auch unter Hinzunahme der Romanze statt des Couplets im Dritten Akt eine starke Eigenfigur verkörpert. Hoffmanns Antagonist, zu Beginn die Figur Lindorf, dann Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto, wird von Bass Bogdan Taloş charakterstark dargestellt. Tenor Andrés Sulbarán ist als witziger Diener von Spalanzani ein Publikumsliebling. Bassist Thorsten Grümbel, Tenor Florian Simson, Katarzyna Kuncio, Jake Muffett, Emanuel Fluck und Bohyeon Mun komplettieren das tolle Ensemble.

Am Ende stellt sich Hoffmann noch halb im Wahn wieder der Realität und Stella, auf die er seine Fantasierungen mit Olympia, Antonia und Giulietta projiziert. Als sie sich daraufhin von ihm abwendet, bleibt ihm nur wieder der Dichtertisch – und die Muse, die die erloschene Kerze neu anzündet. Ein erlebnisreicher und aussergewöhnlicher Abend geht zu Ende, der Hoffmanns fantastische Welten bildstark auf die Bühne bringt.