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Höllenschlund und Traumidylle

Ingvar Lidholm: Ein Traumspiel

Theater:Deutsches Nationaltheater Weimar, Premiere:20.04.2013Autor(in) der Vorlage:August StrindbergRegie:Christian SedelmayerMusikalische Leitung:Stefan Solyom

Die Welt kann ein Höllenschlund sein, aus dem es dampft und qualmt und in den Agnes mit einem Fernrohr vorsichtig und gebannt hineinschaut. Die Welt kann aber auch die Idylle der Kindheit sein, von der der Offizier träumend zu Harfenklängen von Bienen und Waldbeeren singt. Viele dieser Welten und viele Menschen prallen in Ingvar Lidholms Werk „Ein Traumspiel“ aufeinander, einer Oper in einem Vorspiel und zwei Akten nach August Strindbergs Drama. Am Deutschen Nationaltheater Weimar hat Christian Sedelmayer es jetzt eindrucksvoll inszeniert; absurd, komisch, tragisch.

Agnes Weg in die Welt beginnt im Dunklen. Der schwarze Vorhang ist geschlossen, Frauen- und Männerstimmen lassen Agnes‘ Gespräch mit ihrem Vater Indra erklingen, stellen Fragen nach dieser Welt und den undankbaren Irdischen – begleitet von mächtigen Bläserakzenten. Dann stürzt aus dem immer noch geschlossenen Vorhang eine Gestalt im weißen, blutverschmierten Latexanzug – Agnes kommt wie nach einer Geburt in diese finstere Welt.

Und die ist ein Spiegel, der alles, was vorgeht, vervielfältigt. Regisseur Christian Sedelmayer, der auch das Bühnenbild entworfen hat, hat das gläserne Schloss als verspiegelte, leicht angekippte Wand-Ecke auf die Bühne gestellt – alle, die davor agieren, scheinen an vier Stellen gleichzeitig zu sein, auch der Offizier (Uwe Schenker-Primus) im schimmernden Brustpanzer, der vergeblich den Degen führt, um sich zu befreien. Hier begegnet Indras Tochter (Heike Porstein) auch der Pförtnerin (Helena Köhne), die, an einem roten Schal häkelnd, den Weg in die Tiefe bewacht. Sie lacht über den Zettelkleber, der sich über sein Fischernetz freut, voller Schadenfreude – vom Orchester fulminant ergänzt.

Die Menschenmassen, denen Agnes auf ihrer Reise durch die Welt begegnet, haben sich mit fleischfarbenen Overalls (Kostüme: Caroline von Voss) eine Nacktheit angezogen, die sie mit Pappkleidern wie mit den Rollen bedecken, die das Leben an sie ausgegeben hat. Der Opernchor des DNT spielt das so präzise wie komisch und singt dazu, einstudiert von Markus Oppeneiger, vorzüglich, ob tragisches De Profundis oder gellender Hilfeschrei, juchzenden Can-Can oder düsteres Urteil über die Menschen. Und so vielfältig wie vielfarbig ist die ganze Musik Lidholms, mal lässt sie die Welt einstürzen, mal begleitet sie sie mit hämischem Gekicher, kann ganz zart trauernd, aber auch mit Blitz und Donner in diese Welt fahrend. Und die Staatskapelle Weimar mit ihrem Dirigenten Stefan Sloyom spielt das in allen Farben und Facetten aus. Dazu hat die Inszenierung mit Heike Porstein eine Agnes, die mit den Menschen leidet und klagt, aber nie sentimental wird, die das Expressive ebenso wie das Zarte beherrscht.

Nach der Pause gibt es ein paar Risse in der bis dahin beeindruckenden Inszenierung, weil Szene und Musik sich an Absurdität zu übertrumpfen suchen, und das tut beiden nicht gut. Agnes Liebesversuch mit dem Advokaten (Sebastian Campione) geht sehr hopplahopp in Kindergeschrei, Streit und Trennung über. Und die Herren Dekane, die darüber streiten, ob man die verbotene Tür öffnen darf, stecken in grellfarbenen Kästen und Röhren, um die Groteske zu betonen – was es nicht braucht. Doch dann fängt sich die Inszenierung wieder und mündet nach knapp drei Stunden in einem grandiosen Schlussbild: Agnes, von der Pförtnerin aus dem Spiegelraum ausgeschlossen, schwebt auf dessen Dach, um ihren Rückweg anzutreten – eine weiße, leuchtende Gestalt zwischen Himmel und Erde.