Foto: Szene mit Hans-Georg Priese (Alfonso) und Kirsten Blanck (Violanta). © Rillke und Sandelmann Fotografie
Text:Jens Fischer, am 4. Juni 2012
Sie erblüht, quillt auf, schwelgt, funkelt, verweht wieder, entwickelt Themen, führt sie zusammen, lässt sie zerbersten, verdämmert, droht, wallt, prunkt, beginnt zu tänzeln … sie, die „Violanta“-Ouvertüre von Erich Wolfgang Korngold. Nur dessen Fin-de-Siècle-Gespensterkrimi „Die tote Stadt“ hat es bis dato ins erweiterte Opernrepertoire geschafft, seine anderen Werke sind stets Wiederentdeckungen, mit denen die Stadttheater ihrer Aufgabe, kulturelles Erbe zu bewahren, auf das kunterbunt Klangwuchtigste nachkommen können.
Und auf die „Violanta“ (1916 uraufgeführt) hat Stephan Tetzlaff schon fast ein Monopol, dirigierte er sie doch 1993 in Darmstadt, dann in Wiesbaden und Bergen, jetzt widmet er sich in Bremerhaven erneut dem Opernstreich des Wunderkinds. 16-, 17-jährig sturmdrängte Korngold seine Noten aufs Papier, verwirbelte dabei voll spätromantischer Expressivität all die Einflüsse, die ihm das Wiener Musikleben bot – etwa die impressionistisch dahinwellende Klangflächenkunst, Richard Wagners tönende Farbfeuerwerkerei und Leitmotivik wie auch effektvoll spektakuläre Orchestrierung à la Richard Strauss. Zuckersüß geschmeidige Melodielinien des Puccini-Verismo und schlagerfidele Liedkonstruktionen der Wiener Operette sind auszumachen. Zudem ma(h)lert Korngold seelische Zerrissenheit bis zum Bersten aus. Mit der „Violanta“ präsentiert er sich als Eklektiker in Sachen Klang-Raffinement. Getrieben vom Überdruck der Einfälle und von der Leidenschaft nach Leidenschaft, werden Figuren und Szenen mit Emotionen aufgepumpt.
Ideen für drei Opern: zusammengeballt in einem Einakter. Gerade durch das Nebeneinander, die dynamisch gehetzte Überfülle und harsch gegeneinander geschnittenen Stimmungswechsel erweist sich das Werk als ein modernes. Diese Verdichtung schwelgerisch anzunehmen, rauschhaft zur Wirkung zu verhelfen, war das Anliegen des Städtischen Orchesters. Tetzlaff führt es recht gekonnt durch Glamour und Inbrunst der Partitur, feiert die klangmalerische Intensität, betont perkussive Akzente, hält die eruptive Gemengelage zusammen und versucht die Kompositionsfantasie dieses frühreifen Wurfs möglichst transparent auszubreiten. Gegenüber dem unablässigen musikalischen Erzählstrom geraten die Sänger ins Hintertreffen – zumeist (bis auf Bariton Sangmin Lee als Violantas Gatte) fehlt es schlicht an Strahlkraft und auch darstellerischer Präsenz.
Ebenso verblasst die Handlung. Über die dramatische Initiative, psychologische Illumination, Stimmungszauberei und Gefühlsverdeutlichung der Musik hinaus – hat sie kaum etwas zu erzählen. Eine klischeesatte Tenor-Sopran-Geschichte gestaltete Librettist Hans Müller, bei der sich Liebe auf Tod reimt. Denn die titelgebende Dame aus der besseren venezianischen Renaissance-Gesellschaft engagiert ihren Gatten, den Frauenbetörer Alfonso zu töten. Er hatte Violantas Schwester zu einem Seitensprung animiert, woraufhin diese schamvoll Selbstmord beging, war sie doch bereits eine Braut Christi. Violanta spielt sich mit ihrem Mordauftrag großmäulig zur Rächerin für all die „hunderttausend reinen“ und von Männer verführten Frauen auf, kämpft aber in Wahrheit gegen sich, ihr lebensfeindliches Dasein, die Tugendqual, „keusch wie Schnee“ zu sein – und verleugnet das Begehren: Sie hasst Alfonso, weil sie ihn heimlich (unerreichbar) liebt.
Wenn mit Petra Luisa Meyer nicht eine Frau lässig ironisch Regie geführt hätte, könnte man der Violanta-Interpretation glatt Frauenfeindlichkeit unterstellen. Denn in Bremerhaven ist sie ein biederes Muttchen. Ihre erotische Fantasie fixiert das Zentrum der Bühne, einen Kubus der Lust mit Glitzergardinenwänden. Dahinter wird höchst gesittet Ausschweifung gefeiert: Karneval mit Tiermasken (wegen animalischer Triebe). Aber dort ludert auch Alfonso herum: dahingegossen in einen Harem, designt als Teddyboy in silberner Hose, schweißnass glänzend den Oberkörper entblößt. Der Erlöser des unterdrückten weiblichen Eros – eine Witzfigur. Trotzdem wird die „reine Liebe“ besungen, Verwandlung, Verklärung, „pupurgolden“ wogende Leidenschaft gefeiert. Ein Kuss nur, dann der Tod – also: Selbstzerstörung. Violanta lässt sich, anders als in der Vorlage, vom Geist der toten Schwester (Quelle für Violantas Lebenslüge) in den Dolch ihres Gatten schubsen und jubiliert: endlich frei von Lust, also frei von Schuld. Es fallen alle Bühnenbildgardinen, „Mauern“ bürgerlicher Konventionen und ehelicher Zwänge … aber die Musik ist wirklich schön furios!