Foto: Peter Lüdis höchst dramatische "Räuber"-Inszenierung bei den Volksschauspielen Ötighausen © Jochen Klenk
Text:Eckehard Uhlig, am 11. August 2019
Zum Irrenhaus, wie 1782 die Uraufführung des Stückes das Mannheimer Theater, verwandeln Friedrich Schillers „Die Räuber“ Deutschlands größte Freilichtbühne bei den Volksschauspielen in Ötigheim nicht. Es gab jedenfalls bei der Premiere keine rollenden Augen, geballten Fäuste, in Ohnmacht fallende Damen und kaum stampfende Füße, von denen damalige Augenzeugen berichten. Dafür hochtourig deklamiertes Pathos und fesselnde Szenen, aber auch Momente, die mit ihren mordlustigen Übertreibungen an der Grenze zu Lachnummern entlangschrammten.
In der Mitte das aus wuchtigen Quadern gefügte, von zwei oktogonalen Ecktürmen eingefasste Schloss, rechts Fachwerkbauten mit Arkaden, links grüne Wiesen und eine felsige Gebirgslandschaft, auf der Vorderbühne erhöhte Podien und darunter die Katakomben: Natürlich muss auf der opulenten Naturbühne in Ötigheim mit diesen Breitwand-Kulissen – in dieser großformatig-malerischen Umgebung – pathetisch agiert und gespielt werden. Zudem erwartet das Volksschauspiel-Publikum eine traditionsgesättigte Aufführung ohne moderne Regietheater-Fisimatenten. Peter Lüdi, der in Ötigheim schon öfters Regie geführt hat, erfüllt mit seiner „Räuber“-Inszenierung diese Vorgaben par excellence. Und auch Kostümbildner Karel Spanhak befleißigt sich, die Mimen handlungszeitnah auszustaffieren.
Wie zu seiner Zeit die gesamte intellektuelle Welt denkt Schiller durchdringend dialektisch in Schwarz-Weiß-Kontrasten, was bei menschlichen Charakteren psychologisch nicht immer einleuchtend scheint. Dem folgt Martin Trippensee in seiner Darstellung des gefühlskalten, machtgeilen jüngeren Sohnes Franz von Moor. Er gibt ihn als verschlagenen Bösewicht, der wie ein Horror-Clown mit Trompetenstimme verkündet: „Herr muss ich sein!“. Wenig geliebt vom Vater, den Hans-Peter Mauterer als erblindeten, senil greinenden Grafen von Moor vorstellt, intrigiert Franz gegen seinen älteren Bruder, und zwar mit Erfolg. So treibt des Grafen vermeintliche (von Franz mit gefälschten Briefen eingefädelte) Zurückweisung Karl von Moor, der sich vom geliebten Vater verstoßen fühlt, in die Rebellion. Er wandelt sich vom leichtlebigen Leipziger Studenten zum Räuberhauptmann samt Bande in den böhmischen Wäldern. David Kühn lässt „deutsches Heldenblut in seinen Adern rollen“ – spielt den Rebellen knabenhaft stürmisch, feurig, großspurig und liebessehnsüchtig als einen, der am Bau der Welt rüttelt, sich dabei unversehens auf mörderisches Handwerk einlässt und schuldig wird.
Für die Glanznummern der Ötigheimer „Räuber“ sorgen Protagonisten aus der zweiten Reihe. Anna Beckert ist die Amalia, die von Franz begehrte Geliebte Karls. Sie führt ihren von Schiller ziemlich weltfremd angelegten Part mit einer patenten Leichtigkeit und mädchenhaften Natürlichkeit aus, dass man von ihrem Sprechen und Spiel begeistert sein muss. Paul Maier agiert in seiner Rolle als der von Franz für sein Ränkespiel benutzte Bastard Herrmann genauso großartig wie Hannes Beckert als greisenhafter, sein Seelenheil rettender Diener Daniel. Auch Matthias Götz ist als rhetorisch versierter Pastor Moser im Disput mit dem abgründig philosophierenden Franz exzellent. Sie alle stehen für nachhaltige Dramatik und hervorbrechende Sprachgewalt. Wie überhaupt den Akteuren für ihre klar verständliche Artikulation ein Sonderlob gebührt.
Die Bandenmitglieder – der prahlende Spiegelberg (Reinhard Danner), der treue, tapfere Schweizer (Martin Kühn), Grimm (Felix Hempel), Razmann (Lukas Tüg), Schufterle (Sven Engel), Roller (Christoph Detting), Kosinsky (Tobias Kleinhans) und Schwarz (Julian Baumstark) sorgen als Raufbolde für Mord und Totschlag, vor allem aber für launig auflockernde Passagen, die in der gut dreistündigen Freilichtdarbietung vonnöten sind: Da wird mit ohrenbetäubendem Explosionsknall ein Pulverturm in die Luft gejagt, ein Sieges-Fackeltanz zelebriert oder das Schloss (auf der Suche nach Franz) lärmend in Brand gesetzt.
Allerdings: der Schluss dieser insgesamt gelungenen Dramen-Interpretation missglückt. Aus unerfindlichen Gründen lässt Lüdi seine Inszenierung nicht, wie in Schillers Text vorgesehen, mit Karl Moors großartiger Geste ausklingen, sich der Justiz zu stellen und einem armen Schlucker eine Belohnung zu sichern. Vielmehr erdolcht Karl Amalia, die von der Bande eingefordert wird, und im gleichen Akt theatralisch sich selbst – der Moritaten eine zu viel.