Foto: Luigi Nonos "Prometeo" in der Salzburger Kollegienkirche © Silvia Lelli
Text:Tobias Gerosa, am 1. August 2011
Luigi Nonos „Prometeo“ von 1985 ist ein Monument der Moderne. Realisierbar ist der Aufwand, den das zweieinhalbstündige Werk verlangt, eigentlich nur für Festspiele – wie eben Salzburg, das damit nach „Faust I und II“ und der „Frau ohne Schatten“ nochmals ein starkes Ausrufezeichen setzt. Im großen Festspielhaus dirigiert Pierre Boulez Berg (und Mahler), in der Kollegienkirche daneben steht „Prometeo“ auf dem Programm. Dass beide Konzerte voll sind, ja dass für Nono Leute mit „Suche Karte“ auf dem Platz stehen, zeigt dass die Musik des 20. Jahrhunderts als zentraler Teil des Festspielprogramms angekommen und angenommen ist. Keine Vorstellung soll so rasch ausverkauft gewesen sein wie die beiden Prometeo-Aufführungen. Jetzt ist „Prometeo“ der Auftakt zur „Kontinent-Reihe“, die einen wichtigen Block in Intendant Markus Hinterhäusers Programm bildet. Zu hoffen ist nur, dass diese Aufbauarbeit auch in Salzburg mit dem neuen Intendanten mit gleicher Konsequenz weitergeführt und nicht wieder auf eine paar Alibi-Übungen zurückgestutzt wird.
Dabei macht es „Prometeo“ jedem Publikum alles andere als leicht. Anders als in seinen beiden Opern hat Nono den direkten politischen Anspruch zurückgenommen und sich ein Libretto mit Texten der Alten Griechen, Walter Benjamin und Hölderlin zusammenstellen lassen. Das kann man auch in Salzburg im Programm mit- und nachlesen, denn zu verstehen sind die von zwei Sprechern, fünf Gesangssolisten und Chor gesungen, gespeit und geflüsterten, durchgehend in Silben und Melismen fragmentierten Worte nicht. Aber auch der Abdruck hilft nicht direkt weiter, ohne dass man die Kontexte der einzelnen Sätze, Namen und Werke genau kennt.
Diese hohe Abstraktion macht eine Prometeo-Aufführung mehr zum hermetischen Genuss als die nicht minder komplexe, aber auch sehr sinnliche Musik. Nono hat das Stück als „tragedia dell’ascolto“, als Tragödie des Hörens bezeichnet, die übers Ohr wirken soll statt über visuelle Reize. Der Raum ist dafür mitkomponiert: Die Musiker sind auf vier Podeste in Haupt- und Querschiff der Kirche verteilt. Live-Elektronik (Experimentalstudio des SWR) verstärkt und verfremdet Klänge und Phrasen, um sie durch den ganzen Raum wandern zu lassen – die Salzburger Kollegienkirche eignet sich dafür ganz hervorragend. Die Klangpalette, die die beiden Dirigenten Ingo Metzmacher und Matilda Hofmann zusammen mit André Richard, dem Leiter der Klangregie, aus diesem Apparat zaubern, ist allerdings faszinierend. Der Grundgestus ist fein und meist schmerzvoll nach innen gerichtet. Immer wieder führen die Musiker der Schola Heidelberg und des Ensemble Modern Orchestras die Musik möglichst nah ans Verwehen und Verstummen. Umso eindrücklicher erfolgen dann die lauten Blechausbrüche, auf einmal von ganz anderer Seite einsetzende Antworten oder magische Echowirkungen – diese Musik kann wahrlich Ohren öffnen, wenn man sich auf sie einlassen kann.