Die Bühne: ein Zelt, eine Wüste, ein improvisierter Sakralraum. Holzkisten werden als Podest, Tisch, Altar, Kreuz, Grab verwendet. Metallene Absperrzäune begrenzen die Bühne wie erhobene Zeigefinger. Requisiten gibt es nicht. Da hilft die gute, alte Pantomime. Oder die abgezirkelte, sprechende Geste, die ja ohnehin eine Dauerzutat des Altmeisters ist. Genau wie die Ethno-Kostüme des Chores, unauffällig bei den Herren, aufdringlich bei den Damen. Drei Countertenöre in Camouflage-Jacke exekutieren weich und präzise Evangelientexte und Jesusworte. Mit den drei Solisten und den vier nüchtern schwarz gekleideten Tänzern werden sie immer wieder zu Paaren und Gruppen angeordnet, sehen sich an, sind beieinander. Und, wie gesagt, umarmen sich. Die drei Protagonisten, Maria, Martha, Lazarus, tragen Alltagskleidung, sind da, spielen keine Rollen. Nur die Bewegung, die Beziehung zueinander spiegelt die gewaltigen Texte, deutet mit wenigen gestellten Bildern die Stationen des Evangeliums an – Lazarus Auferweckung, Gethsemane, Kreuzigung, Auferstehung. Und die Musik. Wut ist in der polystilistischen Musik von John Adams präsent wie Mitleiden und Kontemplation, Minimal Patterns wie druckvolles Aufrauschen, nachromantische Bögen wie Bach’sche Ostinati und vielfältige Percussionseffekte. Das Beethoven Orchester unter Natalie Murray Beale musiziert das wohltuend entspannt, der von Marco Medved einstudierte Chor, gibt hörbar alles, klingt engagiert wie selten, auch wenn, verständlich bei der immensen musikalischen Herausforderung, die Artikulation schon einmal leicht verschwimmt.
Heraus kommt ein rätselhaft altmodisches Theater, ein intensives Erlebnis, das uns, selten genug heutzutage, bewegen möchte, nachdenklich machen, sozusagen innerlich aufweichen. Ein Theater, das Dekoration verabscheut oder als solche kenntlich macht, sich aber zum Pathos in seiner konzentriertesten Form geradezu lächelnd bekennt, das Sterben Jesu am Kreuz zwei zitternden, liegenden Tänzern anvertraut. Körperlichkeit und Spiritualität werden enggeführt, sollen sich durchdringen. Das scheint immer wieder auf sentimentalen Kitsch zulaufen zu wollen und bannt doch mit Lauterkeit, die auch aus den Stimmen von Christin-Marie Hill, Ronald Samm und besonders Ceri Williams als Martha spricht, mit glaubwürdig vermittelter Sehnsucht, nach einem sich Entwickeln, nach Respekt, nach Mit-Fühlen. Und alles läuft ohne Umwege, mit geradezu unerhörter Schutzlosigkeit.
Peter Sellars hat das Stück 2014 in London zur szenischen Uraufführung gebracht und für Bonn neu einstudiert. Zum Schlussapplaus kommt er zügig auf die Bühne, ohne, wie es die Tradition will, abgeholt zu werden, ein kleiner Mann mit den charakteristisch hochstehenden Haaren, in Batikbluse, behängt mit bunten Ketten. Lächelnd, ansteckend geradezu lässt er Chor und Orchester hochleben. Und meint es ehrlich, hoch über Oberammergau.