Foto: Hoch hinaus ins All will Hermann Heisig. © René Löffler
Text:Dagmar Ellen Fischer, am 15. April 2020
„Ich bin jetzt 37 Jahre, und bisher war jede Minute, jede Sekunde in meinem Leben Schwerkraft, Schwerkraft, Schwerkraft…“ Mit diesem Satz überrascht der Darsteller Hermann Heisig sein junges Publikum mitten in der gut 40-minütigen Vorstellung. Und fährt fort: Man könne doch einfach denken, dass alles leicht sei, er persönlich würde an Musik denken, um es sich leichter zu machen.
Dieser sprachliche Einschub in die Performance der Berliner Tanzkomplizen kommt einigermaßen unmotiviert. Leider sind die Worte im Stream auch noch schlecht zu verstehen, da sie sich gegen einen Soundtrack behaupten müssen. Von Anfang an begleiten Geräusche aus dem Off die Bewegungen: Seine ersten Schritte auf der speziell eingerichteten Tanzfläche aus Styropor-Platten knirschen verstärkt laut, seine Drehungen werden von einer wirbelnden Musik unterstützt; und nachdem er eine der weißen Platten vom Boden wegreißt, um sie wie eine Tragfläche über seinem Kopf zu halten, sind künstliche Windgeräusche zu hören.
Alle Gegenstände, die nach und nach herbeigeholt werden, landen nach allerlei Umwegen an einem vorgesehenen Platz: Offenbar gibt es einen Bauplan, wie vier Blätter mit Skizzen auf dem Boden und später an der Wand suggerieren. Für das Vorhaben braucht es noch Klappböcke, Betonsteine mit Löchern und Eimer, gefüllt mit feinem Sand. Die hölzernen Böcke können vom langbeinigen Darsteller spielend überwunden werden. Verblüffender wirkt dagegen, dass (wiederum aus dem Off) Töne erklingen, als er in die Löcher des Betonsteins pustet und eine kurze Melodie entsteht. Und wenn er die beiden Eimer per schneller Drehung in der Waagerechten als Verlängerung seiner Arme kreisen lässt, wirkt das Phänomen der Fliehkraft, das die Kinder im Publikum vermutlich vom Spielplatz her kennen – erwartungsgemäß geht kein Sandkorn verloren.
Zwischen all diesen Spielereien wird Folgendes gebaut: Die Styropor-Platte liegt irgendwann quer auf den Böcken, die beiden hochkant übereinander stehenden Betonsteine bilden mit einem kleinen Ball als „Kopf“ eine Figur. Doch das ist nur der Nebenschauplatz: Der Mann im hautengen silbernen Overall will höher hinaus. Sein rechter Arm steckt plötzlich in einem zwei Meter langen Rohr, das Richtung Decke strebt. Wie um dem nachzueifern, stapelt er viele Styropor-Platten übereinander, klettert hinauf – und springt vermutlich hinunter, das jedoch erfasst die Kamera nicht. Zum Finale bittet er sein Publikum um einen gemeinsamen lautstarken Countdown: von 50 abwärts zur Null. Während dieser Schlussphase bastelt er hektisch aus Rohr, Platten und Steine ein raketenähnliches Gebilde, das leider in sich zusammenfällt. Ob geplantes Chaos oder missglückte Szene, fragt sich der Zuschauer allerdings nicht nur in diesem Moment. Doch trotz des missglückten Starts landet er im All – bewegt sich in Zeitlupe unter flackerndem blauen Licht zu englischen Wortfetzen: Cape Canaveral is calling…
Die Zweckentfremdung der Baumarkt-Utensilien könnte sehr spielerisch oder gar poetisch sein, doch wirkt sie allzu gewollt. Eine Sehnsucht nach dem Traum vom Fliegen ist in keinem Augenblick der Aufführung spürbar, stattdessen pragmatisches oder auch versehentlich ungeschicktes Handhaben der zahlreichen Requisiten. Im allerletzten Moment stellt sich doch noch Zauber ein, ein brennendes Stückchen Papier fliegt – doch das kann die vorangegangene Belanglosigkeit nicht mehr wettmachen.