Anders als der Kinofilm umgeht diese Inszenierung einigermaßen die Gefahr der Geschichtsinstrumentalisierung, die der künstlerischen Mobilisierung von Historischem – und sei sie zu wohlmeinenden Lehrzwecken – zwangsläufig innewohnt. Weil „die letzten Tage“ subtil aus dem Heute heraus erzählt werden, lassen sich aktuelle Fragen assoziieren, werden aber nur selten ausgesprochen. Grundsätzlich balanciert die Inszenierung zwischen historisch verbürgter Konkretion und Abstraktion hin zum Gegenwärtigen oder Allgemeinen, wie schon ein Blick auf das Bühnenbild zeigt: Neben einer links positionierten Leinwand und einem Bodenteppich mit (Haken-)Kreuz befindet sich rechts ein wie deckenhohes Stasi-Schubladensystem, das die Allmacht einer bürokratischen Staatsüberwachung symbolisiert; hier verbergen sich gefährliche Beweisstücke, übergriffige Personenakten und geheime Gucklöcher.
Auch wenn das Setting kammerspielartig anmutet mit seinen wenigen Figuren und Situationen des Verhörs, der Gerichtsverhandlung, Gefängniszelle und zarten Zwischenräume wie dem Briefaustausch zwischen Sophie (Stella Withenius) und Fritz, dem Verlobten an der Front: Übersichtlich ist dieser Abend nur selten! Neben den häufigen situativen Brüchen trägt dazu vor allem ein unruhiger Kamerablick bei, der mittels vieler Schnitte möglichst alles erfassen will – gepaart mit einer exzessiv bespielten Leinwand, die etwa den fernen Fritz in eine mediale Nähe holt oder mit Miniszenen in Schwarzweiß die historische Vergangenheit suggeriert, um neben der räumlichen Distanz auch die zeitliche zu überbrücken.
Das Gesagte wird zudem stets nochmal mit Bewegtbildsequenzen illustriert; ähnlich affirmativen Charakter hat die fast durchgängig erklingende Theatermusik von Fabian Fröhlingsdorf, Benjamin und Sebastian Plück. Immer wieder schrauben sich Streichinstrumente in bedrohliche Höhen, wenn die Gefahr sich zuspitzt, begleiten perlende, verspielte Klavierimprovisationen Szenen der Intimität mit Fritz oder zwischen den Geschwistern. Dass dann auch noch von üblichen Theatereffekten (Nebel, farbiges Licht) reichlich Gebrauch gemacht wird, bewirkt nicht nur eine ärgerliche Überbebilderung, sondern auch die schwerwiegende Konsequenz, dass die Aufmerksamkeit streckenweise fast völlig von dem Ensemblespiel und gesprochenen Text weggelenkt wird. Die sechs Spieler*innen wirken so manchmal wie probate Staffage für Bühne und Handlung.
Am vielversprechendsten scheinen da noch die Momente, in denen Fritz (Dominik Penschek) in die Rolle eines epischen Kommentators und Erzählers wechselt und feststellt: „So ist das Ganze natürlich nie passiert!“ Oder die untote Sophie befragt: „Was hättest du dazu… würdest du dazu sagen, dass heutzutage wieder rechtsnationalistische Strömungen auf dem Vormarsch sind?“ Worauf sie ihm passioniert ins Wort fällt: „Ich würde das alles genauso wiedermachen! Das hier ist nur möglich gewesen, weil niemand etwas getan hat!“ Die pädagogische Stoßrichtung ist unübersehbar: Zusammen mit der visuellen und emotionalen Wirkung des Abends hat dies gute Aussichten, das politische und historische Bewusstsein vor allem jugendlicher Publikumsgruppen zu sensibilisieren.