Acht Musiker stehen Sun zur Seite, die Regisseur van Bebber als Figuren mit in die Handlung einbezieht. Stumm bewegen sie ihre Münder zu Stimmen-Clustern aus den Lautsprechern, die Leo Hofmann und Sun im Vorhinein aufgenommen haben: Verzerrt, gespreizt und übereinandergelegt formieren sie sich zu einem aberwitzigen Chor der inneren Persönlichkeiten. Sie repetieren die Gedanken der Protagonistin, gleichzeitig zerfasern sie durch ihr omnipräsentes Rauschen jede aufscheinende halbwegs gerade Überlegung. Zwischendurch dirigiert die Protagonistin das Spiel des Kammerorchesters, hochkonzentriert und streng, als versuche sie, die Finger an den Schläfen, ihre Gedanken sinnvoll zu ordnen. Man beobachtet einen verzweifelten Kampf um Kontrolle, der jedoch nur verloren werden kann. Von Zeit zu Zeit scheint die Musik stehenzubleiben, als sei die Platte gesprungen. Krampfartig wiederholen sich Worte, Motive und Taktfetzen, und manches klingt dabei tatsächlich wie Koliken unterm Stethoskop.
Schon in der textlichen Vorlage steckt ein musikalisches Konzept, das Giger neu kontextualisiert: strenge Rhythmik, experimentelle Klangsprache und Struktur. Im Prinzip ist Goetz‘ Text selbst bereits eine Komposition im Sinne einer symbolisch durchstrukturierten Partitur: Worte sind Motive, Wortkombinationen sind Themen. Goetz spielt mit ihnen, er variiert sie, stellt sie in neue Zusammenhänge, zitiert sie, demontiert sie. Dabei geht er vom Klang der gesprochenen Worte aus, mehr als von ihrer Bedeutung, denn die ist ambivalent. In der musikgewordenen Wiederholung entblößt sich die Uneindeutigkeit jedes Begriffs, und das reicht in Suns Ausführung mitunter bis ins Spielerische, Schwarzhumorige, Absurde: ein Wort so lange, so immer neu zu wiederholen, bis außer der Abfolge der Morpheme von ihm nichts mehr übrigbleibt. Das ist ein gemeines Spiel mit Assoziation und kognitiver wie emotionaler Verwirrung, das höllisch gut gelingt. Gigers Musik überträgt das Prinzip nämlich auch auf die Arbeit mit angedeuteten musikalischen Motiven: Da scheinen ein paar Takte Bach zu Anfang durch, aber auch eine Idee Lachenmann, Ligeti, Nono. Die dezenten Verweise huschen durch einen musikalisch mehr oder minder luftleeren Raum, in dem Goetz‘ Text, gleichsam irgendwie schwebend, von allen Seiten betrachtet und beleuchtet wird. Das ist abstrakt, passiert aber so zwingend und kompromisslos, dass man sich ihm kaum entziehen kann: Van Bebbers Dramaturgie öffnet eine Art Über-Raum, der das Publikum mitdenkt. Da hört die Protagonistin auf zu dirigieren, ihre Hände bewegen sich auf den Bildschirmen aber weiter. Sie klettert über so etwas wie aufgequollene Himmelsreste aus Bauschaum von der Bühne, und ihre Stimmen klingen im leergefegten Theaterraum noch immer. Stück für Stück zerlegt sich das Geschehen, und was bleibt, ist Dunkelheit und Klang. Das Ohr ist das erste Organ, das der Körper noch vor der Geburt ausbildet – und es ist das letzte, das aufhört wahrzunehmen. Ein bisschen scheint man nach dieser Kolik also selbst gestorben zu sein, hinabgespült in die Entbehrlichkeit. Unmittelbarer kann Goetz wohl kaum sein.