Foto: Hohles Sommernachts-Spektakel: Verdis „Aida“ in der Arena di Verona. © Arena di Verona
Text:Jörn Florian Fuchs, am 17. Juni 2013
Die Anfänge der katalanischen Gruppe La Fura dels Baus liegen im wilden Straßentheater der 1980er Jahre. Oft waren ihre frühen Stücke unvorhersehbar und improvisiert, das Publikum erlebte radikale Bilder und bisweilen an Geschmacksgrenzen (oder auch darüber hinaus gehendes) Radikaltheater. Dann kamen findige Intendanten, die die provokante Handschrift der Katalanen in größeren Häusern zeigen wollten und stracks wirkte all das Ungezähmte, Wilde plötzlich reichlich milde. Als Übel erwies sich zudem die Tatsache, dass der Kulturbetrieb in unseren Breiten (trotz aller Einsparungen hier und dort) nach wie vor über recht üppige Gelder verfügt. La Fura griff kräftig zu, ihre Arbeiten wurden teurer, bunter, technischer. Riesige illuminierte Puppen oder im Raum umher fliegende Statisten-Artisten kamen zum Einsatz, später Videoprojektionen in hoch auflösenden Formaten, mittlerweile sogar manchmal in 3D. Die einstigen Revoluzzer mutierten zu angepassten Handwerkern, mit denen man allein ob des technischen Aufwands garantiert Aufmerksamkeit generierte, die pünktlich und zuverlässig das bestellte Spektakel lieferten. Inzwischen ist La Fura dels Baus ein globales Unternehmen (man wartet nur noch auf den Börsengang…), das wie am Fließband produziert. Gerade gab es einen Freiluft-Parzival zur Eröffnung des neuen Linzer Musiktheaters, in Kürze folgt ein musikalisch-szenischer Ringkampf „Wagner gegen Verdi“ an der Bayerischen Staatsoper. Höhepunkt der Regiefabrik war vor kurzem eine ganz spezielle Doppelpremiere, am selben Abend gab es Stücke von Luigi Dallapiccolla und Arnold Schönberg in Madrid sowie Richard Wagners „Parsifal“ an der Kölner Oper.
Der jüngste Fura-Zuwachs heißt „Aida“ und wurde zum Auftakt der neuen Saison in der Arena von Verona gegeben. Die Arena feiert heuer einhundertjähriges Bestehen, aus diesem Anlass steht sowohl eine rekonstruierte Produktion aus dem Jahr 1913 auf dem Spielplan, wie die Fura-Neuinszenierung. Um es gleich vorweg zu sagen: der Kritiker sieht die Sache ähnlich wie das Publikum. Der nicht direkt nach dem Schlussakkord geflüchtete Teil spendete sehr zurückhaltend Applaus, einige bekundeten ihren Unmut durch Pfiffe. Auf der riesigen Arena-Bühne sieht man den ganzen Abend über Kräne, an ihnen wird ein bisschen geturnt, ein künstlicher Mond aufgehängt oder eine Anish-Kapoor-artige Spiegelskulptur zusammengebaut, die am Ende das unglückliche Liebespaar unter sich begräbt. Die Protagonisten tragen allesamt einschlägige Fura-Roben, also etwa weiße Kleider mit Leuchtdioden, glitzernde Anzüge, verrückte Uniformen mit wirr zusammen gestopften Symbolen. In nachdrücklicher Erinnerung bleibt vor allem Radamès, der zunächst eher normal aussieht, später jedoch elektrisch glühende Brustwarzen besitzt. Im Vorfeld hieß es, man werde die Zuschauer aktiv mit einbeziehen. Das sieht dann so aus: in elend langsamem Tempo latschen Figuren mit Leuchtkugeln durch die Reihen und erklimmen die Bühne, dort finden sie sich nur mit Mühe zurecht.
Einmal tragen Teile des Bewegungschors brennende Hieroglyphen, dann wieder formiert man sich sachte zur trägen, ziellosen Menschenmasse. Auf den steilen Steinrängen der Bühne werden irgendwann undefinierbare Plastikteile aufgepumpt (mit reichlich Lärm nicht nur während leiser Stellen), die irgendwie an Genitalien, Gliedmaßen oder Felsen erinnern. Sehr amüsant war ein wackliges Ballett aus menschlichen Glühbirnen. Wirklich überzeugen konnte nur der Nilakt, hier kam trotz der hässlichen, eiskalten Hightech-Ästhetik Atmosphäre auf, weil die Bühne mit Wasser geflutet sowie mit sich räkelnden Statisten in Krokodilskostümen bevölkert war.
Neben den drei geplanten Pausen gab es eine Reihe von Unterbrechungen für den Umbau, was die Konzentration natürlich stark beeinträchtigte. Von den eigentlichen – religiösen, politischen und privaten – Konflikten des Stücks vermittelte sich (zu) wenig.
Immerhin sorgte Dirigent Omer Meir Wellber für schöne, ziemlich sanfte Klänge. Die kräftigen, brüchigen Stellen der Partitur integrierte Wellber in ein fein fließendes Orchesterparlando, das erst am Schluss kurzzeitig ins dramatischere Fach springen durfte. Roberto Tagliavini gab einen prächtig disponierten König, Hui He eine bis ins kleinste Detail präsente Aida, Giovanna Casollas Amneris war ihrer Konkurrentin beinahe ebenbürtig. Sehr gut auch Fabio Sartori als Radamès sowie Ambrogio Maestri als Amonasro und – mit geringen Einschränkungen – Adrian Sampetreans Ramfis.
Auch bei der gegen halb zwei Uhr früh beginnenden Premierenfeier wurde man übrigens noch von Fura-Ästhetik verfolgt. Zur Tischdekoration zählten aggressiv geometrische Blumentürmchen mit auffälligen Leuchtdioden.
Kritik der Fernsehübertragung der „Aida“ im ZDF