Foto: Samuel Weiss in "Der lange Schlaf" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg © Knut Koops
Text:Michael Laages, am 21. Januar 2023
In der mittlerweile sehr langen Reihe neuerer Stücke, die dem Publikum den klimakrisenbedingt unausweichlichen Weltuntergang um die Ohren menetekeln, fällt „Der lange Schlaf“ von Finegan Kruckemeyer schon deshalb aus dem Rahmen, weil de australische Dramatiker darin eine Art Lösung des drängenden Problems durchspielt. Dank einer neuen chemischen Formel gelingt es nämlich hier, die Menschheit insgesamt für exakt ein Jahr in eine Art Winterschlaf zu versetzen – wie ihn die Natur ja für einige Tier-Arten vorgesehen hat. Die futtern sich dann bekanntlich reichlich Speck an für die kalte Jahreszeit, „dimmen“ die eigene Körper-Temperatur bis hinunter an die Überlebengrente und wachen im Frühjahr unbeschadet wieder auf. Was, wenn der Mensch auf diese Weise der von ihm geschundenen Natur ein Jahr Zeit geben könnte für die Erneuerung der Ressourcen?
Das ist Kruckemeyers Idee; und lange nicht mehr ist im Theater eine ja durchaus starke, herausfordernde Idee derart krachend gescheitert an den Unausgegorenheiten der Umsetzung für die Bühne. Wer auch nur eine Spur an Energie verwendet auf das Nachdenken über die praktischen Konsequenzen der verführerischen Spiel-Phantasie, ahnt sehr schnell, dass da nichts wirklich gutgehen kann. Und das liegt ausnahmsweise mal überhaupt nicht an der Inszenierung – die für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg der in Oper und Film sowie verschiedensten Medien erfahrene Philipp Stölzl besorgt hat, sondern vor allem und immerzu an der haltlosen Erzählung in Kruckemeyers Stück selbst.
Löchriger Plan gegen die Klimakrise
Schon der allererste Realitäts- oder Möglichkeits-Test geht daneben. Denn was sich da eine Referentin im Weltraum-Ministerium der australischen Regierung ausgedacht hat, den langen Jahresschlaf der Menschheit also zum Zweck der Erholung für Mutter Natur, müsste ja – damit die Idee funktioniert und nicht nur neues Ungleichgewicht im Welt-Gefüge verursacht – tatsächlich überall weltweit umgesetzt werden; auch in – sagen wir mal – Guinea-Bissau oder Brasiliens Amazonas-Wildnis. Selbst Kruckemeyers australische Regierung räumt bis kurz vor Schlaf-Beginn ein, dass sich bei den Vereinten Nationen immerhin noch sieben Länder dem Vorschlag widersetzen; wie, wenn darunter fast alle Mitglieder des Sicherheitsrates wären?
Und so unordentlich geht’s weiter – wie bitteschön würde denn das physiologisch unschädliche Schlafgas „54 E“ über die Menschheit verteilt? Gesprüht aus Flugzeugen? Kein Wort darüber – aber die Szenen im Stück behaupten immerhin, dass das System (welches auch immer) funktioniert haben müsste in Nigerias eher unorganisierter Hauptstadt Lagos, im wenig besser strukturierten Bogotá in Kolumbien und sogar in Duschanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan. An all diesen Orten (und natürlich in Australien und im US-amerikanischen Fernsehen) machen sich die Menschen Gedanken über das, was kommen soll … nur sagt halt keiner, wie. Kruckemeyers Plot steht auf extrem wackeligen Füßchen.
Diktatur des Schlafes
Und nach dem zwar völlig logikfreien, aber immerhin kompakten ersten Teil zerfällt die Story im zweiten in noch absurdere, verquere Strukturen: Zwei (nur zwei?) Menschen wurden verschont – sie haben nach Operationen künstliche Lungenflügel, auf die „54 E“ nicht wirkt. Die beiden finden einander zufällig (hurra!), verlieben sich und sind von nun an immer auf der Flucht. Als zum zweiten Mal ein Schlaf-Jahr ausgerufen wird, leben sie in Tadschikistan und haben ein Kind, das wie ein anderes viele Jahre früher die gleichen klugen Kinderfragen stellt. Hätten sich doch bloß Autor und Regie-Team ähnlich kluge Fragen gestellt! Auch die Story der australischen Ministerial-Referentin nimmt schräge Wege: Sie, die die Menschheit ja nicht nur immer wieder mal ein Jahr lang schlafen lassen wollte, sondern viel lieber ganz abschaffen würde, inszeniert nun Schlaf-Jahr um Schlaf-Jahr; sie wurde derweil auch medial heiliggesprochen und hat ein eigenes Flugzeug … Greta Thunberg benutzte bislang noch die Bahn, oder?
Spätestens hier ist längst nicht mehr klar, was Stück und Inszenierung eigentlich wollen – vor Weltrette-rinnen wie der Schlaf-Diktatorin warnen? Mahnen zu bewussterem Umgang auch mit den Methoden des Widerstands? Im Programmheft dürfen „Letzte Generation“, die „Extinction Rebellion“ und die „Ende Gelände“-Besetzer von Lützerath werben – „Anzeige“ steht über den Seiten im Heft.
Über das Theater selbst ist bei einem derart halbgar strukturierten und geschriebenen Stück kaum zu reden; keine Rolle bekommt wirklich tragendes Profil, überall herrscht Oberfläche. Und auch Stölzls Inszenierung organisiert vor allem die schnell wechselnden Mini-Szenarien: im Flugzeug vom Minister und später der Schlaf-Strategin, in den Küchen, Wohn- und Schlafzimmern von Lagos, Bogota und Duschanbe. Das muss leider sehr deutlich gesagt und geschrieben werden – hier sind die nie zu Ende gedachten Spinnereien eines sehr schlechten Stücks zu bestaunen. Wieder mal, so scheint, will ein Theater nur spektakulär mitsegeln auf der Klima-Welle.
Und sonst gar nichts. Wie ärgerlich.