Foto: Stephanie Eidt und Felix Rech in "Wheeler2 © Matthias Horn
Text:Barbara Behrendt, am 3. Dezember 2018
Wheeler hat die ersten Monate nach der Trennung in der Garage seiner Noch-Ehefrau gehaust – jetzt hat er endlich eine Wohnung gefunden. Die Kartons stehen herum, ein Sofa, ein noch nicht angeschlossener Fernseher. Sein Freund Paul hat ihm gerade beim Umzug geholfen, nun genehmigen sie sich eine Dose Bier und führen ein Männergespräch, wie man sich das als Frau so vorstellt: Die „üppigen, vollen, beachtlichen“ Brüste von Wheelers Arbeitskollegin werden gepriesen wie unter Teenagern – und Wheeler jammert, wie schwer es sei, eine Frau abzuschleppen, wenn man nicht mal eine eigene Wohnung hat. Puh.
Wheeler ist ein gewöhnlicher Amerikaner Anfang 50, der in der Blüte seiner Midlife-Crises steckt und sich für den absoluten Loser hält. In seiner Einsamkeit lässt er sich von seinen Freunden Jules vorstellen, eine schöne, empathische Frau – „Lebensberaterin“ und viel zu nett für ihn. Sie werden ein Paar, doch Wheeler bleibt unzufrieden angesichts dieses geballten Optimismus an seiner Seite und trennt sich Knall auf Fall, als er die halb so alte Vietnamesin Minnie ins Bett kriegt, die bei ihm auf der Couch schläft, weil ihr Freund sie geschlagen und geschwängert hat. Er verliebt sich über beide Ohren, lässt sich ein Herz mit ihrem Namen auf den Arm stechen, will mit ihr das Baby großziehen – und wundert sich, dass der Plan daneben geht.
Wheeler soll einer von uns sein, eine Identifikationsfigur, die zeigt, wie schwierig die ganz alltäglichen Lebensentscheidungen sind. Ein liebenswerter Misanthrop, wie man sie aus Romanen eines Nick Hornby kennt. Doch Tracy Letts zeigt oft bloß einen Narzissten, der sich bemitleidet, sich nicht um seinen pubertierenden Sohn kümmert und die Frauen als Erfüllungsgehilfinnen seines persönlichen Glücks betrachtet.
Als Wheeler Jules zurückgewinnen will, nachdem ihm Minnie wie zu erwarten den Laufpass gegeben hat, lässt sie sich nicht erweichen. Stephanie Eidt spielt diese schöne Jules ehrlich verletzlich und aufrecht. Es ist ganz einfach in diesem klassischen amerikanischen Wellmade-Play und seinen durchaus unterhaltsamen Dialogen: Die Frauen sind die Klügeren. Warum sie sich (und wir uns!) mit Wheelers Selbstwertproblemen herumärgern müssen, wird in Oliver Reeses realistischer Inszenierung zum noch größeren Rätsel. Felix Rech spielt Wheeler als trotteligen Schluffi, der seine Hände kaum aus den Taschen seiner Strickjacke nimmt – eine glatte Fehlbesetzung, wirkt er mit seinen 41 doch noch jugendlich und viel zu attraktiv für die Midlife-Crisis der glatzköpfigen 50-Somethings.
Die Drehbühne zeigt mal Jules’ Büro, mal eine Sportumkleide, mal einen Schnell-Imbiss. Es wirkt, als hätte man in eine amerikanische Serie aus den 1980er Jahren gezappt, als Frauen noch, wie hier, Neon-Shirts, Stulpen und Jeansrock trugen. Reese inszeniert konventionell, verfehlt dabei aber oft die Pointen. Doch das Grundproblem liegt bereits im Text. Während Letts’ Erfolgsstück „Eine Familie“ mit bitterbösem Humor brillierte, war das Nachfolgedrama „Eine Frau“ ein berührendes, formal interessantes Frauenporträt. „Wheeler“ jedoch hat weder inhaltlich noch formal viel zu bieten. Wie gern hätte man hier der Ehrenrettung des alternden weißen Mannes beigewohnt – doch Letts bestätigt nur die schlimmsten Vorurteile.
Dass diese Deutsche Erstaufführung im Kleinen Haus gezeigt wird, wo Reese mittlerweile fast alle Erst- und Uraufführungen versteckt, lässt tief blicken. Angetreten war er vor anderthalb Jahren mit der vollmundigen Ankündigung, das Berliner Ensemble zum Haus für Autoren- und Gegenwartstheater zu machen. Und heute? Sein sogenanntes „Autorenlabor“ ist seit Monaten führungslos, auf der großen Bühne läuft Shakespeare und Brecht, im Wechsel mit Stückentwicklern wie Simon Stone und Kay Voges, die derzeit eben en vogue sind. Wofür Reese brennt, ist völlig unklar. Frische Stimmen, substanzielle neue Stücke, Impulse fürs zeitgenössische Autorentheater sucht man hier vergebens.