Foto: James Tolksdorf (Macbeth – Sänger), Marko Stickel (Macbeth – Schauspieler), Ralf Hocke (Duncan), Marieke Kregel (Lady Macbeth - Schauspielerin), Lucas Corrêa (Kammerdiener) und Ali San Uzer (Kammerdiener) in der spartenübergreifenden "Macbeth"-Inszenierung am Theater Hof © H. Dietz Fotografie
Text:Christine Wild, am 18. Juni 2017
Das Herz des Herrschers schlägt. Lautstark pocht es schon, bevor überhaupt die ersten Takte der Ouvertüre zu hören sind. Unbewegt und mit leerem Blick thront Ralf Hocke als König Duncan auf dem Machthaber-Sessel, der als Kernstück nicht aus dem Zentrum Reinhardt Frieses spartenübergreifenden Macbeth-Projekts weicht. Unverrückbar bietet er dem Machthaber eine feste Basis. Dem aktuellen Machthaber – denn was Bestand hat in den folgenden gut drei Stunden, ist nicht der Herrscher selbst, sondern allein sein Amt.
Wie blutgetränkte Dolche ragen die Zacken der Königskrone auf seinem Haupt empor, während Roland Vieweg ans Pult tritt und mit den Hofer Symphonikern in einen Abend der musikalischen Superlative startet. Mit zarter Transparenz beginnen die Streicher die ersten Fäden zu spinnen, die sich im Verlauf des Abends zu einem Netz aus Machtgewinn, Machterhaltung und Scheitern an der Macht verdichten sollen. Schon nach wenigen Takten wagen Blech und Pauken einen donnernden Ausblick auf den Untergang, nähren wehmütig-weiche Harfenklänge dunkle Vorahnungen auf das unausweichlich sich vollziehende Schicksal.
Und dann beginnt sie, die mörderische Jagd auf die Macht, die Menschen zu Bestien werden und an ihrer eigenen Grausamkeit zugrunde gehen lässt. Dabei hat sich Intendant Reinhardt Friese als Regisseur einiges vorgenommen in seinem Macbeth-Projekt: Verdis Oper verknüpft er mit Shakespeares Schauspiel. Kann das funktionieren? Es kann. Als Grundschema besetzt Friese alle Rollen doppelt mit je einem Künstler aus dem Sprech- und einem aus dem Musiktheater. Die Aktion des Schauspiel-Ensembles nutzt er, um mit Shakespeares Worten präzise die verschiedenen Handlungsstränge voranzutreiben. Sänger und Orchester repräsentieren in seinem Projekt die Gefühlsebene: Sie haben freien Blick in die Seele ihres jeweiligen Alter Egos und kommentieren das Geschehen mittels der hochemotionales Musik Giuseppe Verdis. Mal doppelt der Regisseur, mal streicht er und wählt nur eine Szene aus dem einen oder dem anderen Werk aus.
Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Konzepts leisten nicht zuletzt Bühne, Kostüme und Licht. Ausstatterin Annette Mahlendorf hat nach dem Entwurf Günter Hellwegs einen symbiotisch-genialen Bühnenraum geschaffen. Während ganz vorne der Königssessel prangt, bietet ein quadratisches, mit Torf und Erde bestreutes Feld dahinter eine Spielfläche für den Sprechtheateranteil des Abends. Einen fahrbaren Bühnenwagen mit eigenem Vorhang, der immer mal wieder in der Vordergrund und zurück gerollt wird, bevölkern Chor und Solisten – allesamt gehüllt in schwarz-weiß und punktuell rote Roben aus einem fiktiv faschistoiden System der 1930er Jahre. So düster wie der Stoff selbst erscheint auch der durchgehend von bühnennebeldurchwaberte Raum, den Jürgen Burger (Licht) oft nur von der Seite, von oben mit einzelnen Spots oder durch grelle Lichtspalte schattenhaft von hinten beleuchtet.
Auf den beiden Spielebenen ordnet Reinhardt Friese sein mörderisches Personal in stilisierter Statik an: mal reihenweise auf Stühlen sitzend, mal militärisch aufgereiht. Über weite Teile des Abends verzichtet er auf eine Interaktion der Protagonisten. Stattdessen lässt er sie in artifizieller Überartikulation mit Blickrichtung zum Publikum Konsonanten herauswürgen und pfeilscharf mit ihnen schießen – lässt sie Shakespeares Sprache ebenso brutal zerfleddern, wie simultan sowohl der Kampf um die Macht als auch der Wahnsinn der Hauptakteure voranschreiten. Das strengt an auf Zuschauerseite, fordert höchste Konzentration, um nicht den Faden zu verlieren.
Doch hat der, der dranbleibt, einen echten Gewinn von diesem Abend. Denn der inszenierende Intendant vereint hier nicht nur zwei ganz große Werke zu einem überzeugenden Gesamtkunstwerk, sondern auch ein phantastisch agierendes Ensemble auf der Bühne, das in starken Bildern Eindruck hinterlässt. Den größten Kraftakt meistern dabei Marco Stickel und Marieke Kregel als sprechendes Titelheldenpaar mit überwältigender Ausdruckskraft. Von einem weißen Bett aus, das vom Schürboden her einschwebt, stachelt Lady Macbeth ihren Gatten an, als Pflaster des Wegs zur Macht auch Leichen in Kauf zu nehmen. Sie lockt ihn in ihren Schoß – und plötzlich scheint der Herzschlag eben dort zu pulsieren. Elektrisiert wandeln die beiden die Aussicht auf Macht in sexuelle Energien um, wirken wie magnetisiert und ziehen sich gegenseitig hinein in den Strudel des Verderbens. Das Blut klebt an ihren Händen wie auf ihren Seelen. Brutal gehen sie trotzdem Schritt für Schritt weiter – und auf ihren persönlichen Abgrund zu.
Während die Lady irgendwann das schwebende Bett gegen eine blutgefüllte Badewanne tauscht, in der sie ihrem Leben ein Ende bereitet, will Marco Stickel unbedingt seine Macht behalten. Anfänglich von seiner Frau gedrängt, stellt er auf verstörende Weise den Wandel zum wahnsinnigen Alleinherrscher dar, dem mit Hitler’schem Redegebaren nicht nur jede Moral, sondern auch der Blick auf die Realität und sein Verstand abhanden zu kommen scheinen.
Vorwiegend die weich-emotionale Seite des Titelheldenpaars stellen Yamina Maamar und James Tolksdorf dar. Letzterer zeichnet mit warm-geschmeidigem Bariton (und leider von der Regie vorgegebener kompletter Statik statt Spiel) die verletzliche Seite des machtversessenen Herrschers nach. Yamina Maamar hingegen vereint Sensibilität und Wucht: Auf brillante Weise verbindet die dunkel timbrierte Sopranistin die intimen, koloraturgeprägten Angst- und Wahnpassagen der Lady mit deren dramatischen Ausbrüchen im Streben nach Macht. Nie wird sie dabei schrill, sondern hat ihre große Stimme auf bewegende Weise im Griff.
Unterstützung finden nicht nur die Solisten, sondern auch der von Hsin-Chien Fröhlich perfekt vorbereitete Chor, der selbst die schnellsten Passagen erstaunlich gut artikuliert, bei den Hofer Symphonikern. Sie führt Roland Vieweg derart sensibel, dass alle Sänger problemlos über den Graben kommen. Und nicht nur sie: Zu Beginn des zweiten Teils nach der Pause verwebt Reinhardt Friese Oper und Schauspiel direkt ineinander. Er lässt die drei Hexen (Miriam Schwab, Julia Leinweber und Marina Schmitz) sich akrobatisch räkeln und mikroportverstärkt die Shakespeare-Verse wispern, während sich Verdis Hexenchor auf dem Bühnenwagen immer wieder musikalisch zu Wort meldet. Als dritte Sparte komplettiert die Hofer Ballettcompagnie als Erscheinungen auf Stelzen die gespenstische Szene.
Wenn sich am Ende blutige Schwerter von oben über Macbeth senken und er nach brutalem Schwertkampf nicht nur sein Leben, sondern auch den Thron lassen muss, endet in Reinhardt Frieses Inszenierung die Schreckensherrschaft aber nicht. Im Gegenteil: Kaum nimmt Malcom (Jörn Bregenzer) den blutbefleckten Sessel ein, schon sind auch auf ihn die Dolche und Schwerter der Umstehenden gerichtet, während das machthungrige Pochen des Herrscherherzens weiterhin laut und deutlich zu vernehmen ist.
Macbeth-Experiment gelungen? Da ist man geteilter Meinung nach der Premiere: Wer es geschafft hat, dranzublieben, dem erschließt sich das gut durchdachte Konzept – doch fällt genau dies schwer aufgrund der zäh zu konsumierenden stilistischen Überhöhung mit ihren vielen statischen Momenten.