Szene aus „La Cage aux Folles“ am Gärtnerplatztheater in München

Mehr Lametta!

Jerry Herman/Harvey Fierstein: La Cage aux Folles

Theater:Gärtnerplatztheater, Premiere:28.02.2025Vorlage:La Cage aux FollesAutor(in) der Vorlage:Jean PoiretRegie:Josef E. KöpplingerMusikalische Leitung:Jeff Frohner/Andreas PartillaKomponist(in):Jerry Herman

Intendant Josef E. Köpplingers Inszenierung „La Cage aux Folles“ am Staatstheater am Gärtnerplatz lässt reale Bedrohungen gegen queere Menschen subtil durchblicken. Gemeinsam mit Choreograf Adam Cooper gelingt ihm perfekte Unterhaltung.

Die Drag-Queens sind zurück. Und das ist auch gut so. Denn wo wäre das Musical „La Cage aux Folles“ besser aufgehoben als am Gärtnerplatz, mitten im Herzen von Münchens wohl buntestem Stadtviertel? Das zeigten allein schon die schrillen Outfits auf dem roten Teppich, die es in vielen Fällen locker mit der fantasievollen Kostümparade aufnehmen konnten, die Alfred Mayerhofer drinnen auf der Bühne präsentierte.

Natürlich könnte man auch fragen, ob „La Cage aux Folles“ mit seinen inzwischen 40 Jahren auf dem Buckel nicht langsam doch ein wenig Staub angesetzt hat. Und ob es nicht an der Zeit wäre, auch im deutschsprachigen Raum endlich eine Lanze für andere LGBTQ-zentrierte Musicals jüngeren Datums zu brechen. Schließlich gäbe es mit Stücken wie „Kinky Boots“, „Yank“, „Fun Home“, „Everybody’s talking about Jamie“ oder dem Pulitzer Preis-gekrönten „A Strange Loop“ noch so manches zu entdecken. Aber der „Käfig voller Narren“ ist und bleibt als vertrauter Titel eben eine sichere Bank.

Und tatsächlich scheinen viele der dort verhandelten Themen angesichts des aktuellen politischen Klimas leider plötzlich wieder brandaktuell. Wenn etwa der Spitzenkandidat der TFM-Partei für „Tradition, Familie und Moral“ hier seine von rückschrittlicher Intoleranz geprägten Parolen raushaut, weckt dies nämlich mehr als einmal ungute Assoziationen an die jüngsten Wahlkampfdebatten und besorgniserregende Entwicklungen zu beiden Seiten des Atlantiks.

Nah an Poirets Schauspielvorlage

Große Aktualisierungsversuche braucht es da für Regisseur Josef E. Köpplinger aber trotzdem nicht, der seine Inszenierung bewusst in der Entstehungszeit der Schauspielvorlage von Jean Poiret belässt. Schon während der Ouvertüre gibt es eine filmische Zeitreise durch CSD-Paraden, HIV-Panik und Stonewall-Proteste, ehe man schließlich im Jahr 1973 landet. Und damit in einer Ära, in der die „Ehe für alle“ ein ferner Traum war und Homosexualität in fast allen europäischen Ländern noch strafrechtlich verfolgt werden konnte. Eine reale Bedrohung, die Köpplinger an der einen oder andere Stelle subtil durchblicken lässt.

Ballett und Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz in grünen Kostümen, teilweise in der Luft schaukelnd

Ballett und Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: Markus Tordik

Aber natürlich wird der Abend bei ihm trotzdem nicht zur rein aktivistischen Moral-Predigt. Denn wichtige Botschaften verkaufen sich eben immer noch dann am besten, wenn man sie in gute Unterhaltung verpackt. Und dies beherrscht neben dem regieführenden Intendanten auch Choreograf Adam Cooper absolut perfekt. Er macht in den großen Revue-Sequenzen mächtig Druck, treibt seine „Cagelles“ bis zur Atemlosigkeit über die Bühne und lässt beim wilden Can-Can die Röcke und Beine nur so in die Höhe fliegen. Wobei es Cooper blendend gelingt, die aus Mitgliedern des Ballett-Ensembles und Musical-Profis rekrutierten Drag-Queens einerseits zu einer homogenen Truppe zu verschmelzen, dabei aber trotzdem die individuellen tänzerischen Kernkompetenzen zu nutzen.

Heimlicher Inszenierungsstar Schleinzer

All das bildet jedoch nur den glitzernden Rahmen für eine die Seele wärmende Familiengeschichte, bei der unter den farbenfrohen Kostümen jede Menge Herz steckt. Und das haben sowohl Daniel Prohaska als auch Armin Kahl am rechten Fleck, wenn sie sich als alterndes Ehepaar zoffen oder in ihren schmalzigen Duetten gegenseitig um den Finger wickeln. Obwohl man beiden auch hin und wieder anmerkt, dass die Songs von Jerry Herman gar nicht mal so leicht zu singen sind. Da muss sich das bestens eingespielte Duo schon ins Zeug legen, damit ihnen Paul Clementi als aus der Art geschlagener Sohn Jean-Michel oder Anna Overbeck als toughe Restaurantbesitzerin Jaqueline nicht die Butter vom Brot klauen. Doch gerade im Finale des erste Aktes weiß selbstverständlich auch Armin Kahl nach allen Regeln der Theaterkunst abzuliefern. Wenn sich die große Diva Zaza die Perücke vom Kopf zieht und als Mensch Albin mit tränenerstickter Stimme zur Hymne „Ich bin was ich bin“ ansetzt, herrscht im Saal absolute Gänsehautstimmung.

Zum heimlichen Star des Abends wird aber trotzdem Christian Schleinzer als Butler Jacob, beziehungsweise als Zofe Claudine. Eine Kunstfigur, die allzu oft nur als schrille Knallcharge daherkommt, hier aber mit blasierter Eleganz durchs Geschehen stöckelt. Wie Schleinzer da immer wieder mit vollendeter Noblesse verächtlich die Augenbrauen tanzen lässt und mit seinen stummen Reaktionen die Gags der anderen erst so richtig zünden lässt, muss man einfach gesehen haben. Und so ist es nur recht und billig, dass ihn die beiden Protagonisten bei ihrem gemeinsamen Solo-Applaus kurzerhand spontan mit vor an die Rampe ziehen, um auch ihn im verdienten Jubel des Premierenpublikums baden zu lassen.