Foto: Volkan Can und Andreas Laufer in der charmanten Märchenadaption "der schöne Fischer" in Tübingen © LTT David Graeter
Text:Manfred Jahnke, am 24. November 2014
Eigentlich sollte es in einer interkulturellen Welt, in der sich Kulturen miteinander vernetzen müssen (sollten), selbstverständlich sein, dass das Theater für die verschiedenen Communities Angebote zur Verfügung stellt. Dies gilt auch für das Kindertheater. Erstaunlich jedoch, wenn man sich umschaut, wie gering diese Angebote immer noch sind. Abgesehen von den Tanztheaterproduktionen, die mit ihrer nonverbalen Kommunikation werben, gibt es bisher viel zu wenige Versuche, Märchen oder Spieltraditionen aus anderen Kulturen zu adaptieren.
Da ist das „Junge LTT“ Tübingen schon fast eine Ausnahme, wenn es ein türkisches Märchen, „Der schöne Fischer“, auf den Spielplan setzt. Die Motive sind auch hierzulande nicht unbekannt: Eine Sultanstochter verliebt sich in den armen, jungen Fischer und nimmt ihn verbotenerweise mit in ihrem Harem. Der Gegenspieler, der Großwesir, entdeckt die Beiden. Aber der Sultan kann seiner Tochter nicht widerstehen und erlaubt die Heirat. Dabei stellt der Fischer eine Bedingung: sie darf ihn nie an seine arme Fischervergangenheit erinnern. Es kommt, wie es kommen muss. Durch eine weitere Intrige des Großwesirs wird die Prinzessin so wütend, dass sie diese Bedingung vergisst. Der Fischer verstummt und verlässt sie. Sie folgt ihm, und als sie ihn endlich findet, schweigt er. Erst als sie gehenkt werden soll, weil sie ihre Wette verloren hat, den Fischer zum Sprechen zu bringen, gibt es ein wunderbares Happy-End.
Anne-Kathrin Klatt, die den „schönen Fischer“ für die Bühne bearbeitet hat, führt auch Regie, hat die Kostüme entworfen und einer charaktervolle Rattenpuppe gebaut, die den Großwesir darstellt. Sie knüpft in ihrer Inszenierung an orientalische Erzählertraditionen an. Osman ist der Erzähler, der mit seiner Nichte Aylin und dem Musiker Süleyman durch die Lande zieht. Murat, der Osman hat erzählen hören, fühlt sich so angezogen, dass er auch Erzähler werden möchte. Geschickt mischt Klatt Rahmenhandlung und Märchen miteinander, spiegeln sich die Ebenen, treiben sich voran, unterstützt von der Musik von Volkan Can.
Klatt setzt alle Möglichkeiten des Erzähltheaters virtuos ein und fordert das Ensemble, insbesondere Andreas Laufer als Erzähler Osman, der mit starker Ausstrahlung und Spielfreude auch noch den Sultan übernimmt und, wie nebenbei, die Großwesir – Puppe und die Figuren eines Schattenspiels hervorragend führt. Linda Lienhard spielt die Prinzessin als neugierige junge Frau, die erst lernen muss, was das Märchen als Botschaft verkündet: „Kein Streit ist sinnlos, wenn man dabei Versöhnung lernt.“ Henry Braun ist der schöne Fischer, zurückhaltend, schüchtern, aber gleichzeitig alles mit selbstverständlichem Gleichmut hinnehmend, als Murat darum kämpfend, als Erzähleleve aufgenommen zu werden. Was am Ende gelingt.
Adam Slowik hat eine praktikable Bühne gebaut, die von einer Zeltkonstruktion beherrscht wird, die mal Harem, mal Schiff ist, Rahmen für eine temporeiche Inszenierung, die den Zuschauer mitreißt und alles enthält, um ein deutsches und ein türkisches Publikum gleichermaßen zu erreichen. Da verschwinden selbst die Zweifel, ob denn die Prinzessin wirklich so klischeehaft als Bauchtänzerin daher kommen muss. Kurz: die Kunst des Geschichtenerzählens überragt alles.