Bis auf zwei Ausnahmen steht jeder Spieler, jede Spielerin allein in seiner leeren Zelle, mit rot glänzendem Stoff tapeziert. Sehen können sie sich nicht, nur hören. Wenn jemand „auftritt“, wird sein Kästchen beleuchtet wie ein Screen, ansonsten bleibt es tiefschwarz. Man könnte meinen, diese statische Anordnung sei die reinste Spielverhinderung – und tatsächlich wird in den Zoom-Bildern viel herumgestanden.
Überraschender Gewinn ist jedoch, dass die einzelne Figur mit diesem frontalen Spiel deutlich mehr Kontur gewinnt. Wenn Alexander Khuon als Graf von Leicester von der angeblichen Liebe zu Maria binnen Sekunden zur angeblichen Loyalität zu Elisabeth hüpft, dann spielt er das dem Publikum direkt ins Gesicht. Und wenn Jeremy Mockridge den in jugendlicher Liebe zur Stuart entbrannten Mortimer als von seinem eigenen Pathos beseelten Burschen mit Samenstau karikiert, dann sieht man jede kleine, komische Geste wie unterm Mikroskop.
Immer wieder wird an den Wänden geklopft und gehorcht – doch, ach, die Menschen können zueinander nicht kommen.
Das Interesse der Regisseurin Anne Lenk liegt auch hier, wie schon bei ihrem „Menschenfeind“ vergangenes Jahr, auf dem Ausleuchten der Frauenfiguren – in Bezug zu den Männern. Ihre beiden Königinnen sind keine Würdenträgerinnen, keine pathetischen, ernsten, bleischweren Schicksalserdulderinnen, sondern bodenständige, patente, kluge Frauen, die mit ihren Rollen hadern. Franziska Machens unterläuft jeden hohen Schillerschen Ton mit flapsigen Gesten und schützender Selbstironie. Bei der noch ganz jungen Julia Windischbauer wirkt Elisabeth im britischen Tweed-Kostüm wie die unerfahrene Firmenerbin, die nun unverhofft den Laden schmeißen muss.
Was die Frauen hier an Kompetenz, Coolness und Kopfklarheit gewinnen, das haben sie in puncto Liebesfähigkeit und Erotik verloren. Franziska Machens als blonder, bleicher Stuart-Engel scheint sich ihren fraulichen Reizen nicht nur nicht bewusst – sie werden auch fürs Publikum kaum offenbar. Machens spielt das Gegenteil einer leidenschaftlichen Femme fatale, so als habe sie das gar nicht nötig. Das kann man machen. Etwas verwunderlich ist dann aber schon, wie groß die Eifersucht Elisabeths ihr gegenüber aufflammt, als sie sich im großen Finale begegnen – eine von nur zwei Szenen, in denen zwei Spielerinnen tatsächlich einen Raum teilen, miteinander spielen. Kein Zickenkrieg wird hier gezeigt, sondern der Schlagabtausch zweier unterschiedlicher Frauen, die wie ihr jeweiliges Gegenstück wirken – und die schlicht verlernt haben, wie man miteinander umgeht.
Die zweite Paar-Szene spielt sich – unverhofft – zwischen der Stuart und Mortimer ab. Selbstverliebt, an sich und seiner künftigen Heldentat berauscht, fordert er den Dank für die anstehende Befreiungsaktion schon vorab – nur das Eintreffen seines Onkels verhindert Marias Vergewaltigung. Eher eine komische denn eine schockierende Szene, aber Anne Lenks interpretatorische Setzung ist klar: Mit diesen Männern ist kein Staat zu machen. Sie sehen sich selbst, wo es um den Staat, Loyalität oder ein Menschenleben geht. So ergeben die Figuren um Elisabeth und Maria ein männliches Typen-Kaleidoskop – ein einziger ist vertrauenswürdig, der Rest mit dem eigenen Narzissmus beschäftigt.
Keine weltumstürzende Neuinterpretation, aber ein höchst unterhaltsamer, komischer, über 135 Minuten spannender Herrscher-Krimi, außerdem ein großer Ensemble-Abend mit bestens aufgelegten Spielerinnen und Spielern ist Anne Lenk gelungen.