Thomas Thieme, Mark Waschke und André Szymanski verschwinden fast hinter dem wuchtigen Tisch, der die Bühne von Jan Pappelbaum dominiert und sich in einem anonymen, trist wirkenden Konferenzsaal befindet. Er nimmt die Bühne, aber analog dazu auch die Leben der Protagonisten ein, deren einziger Inhalt die Arbeitswelt und damit verbunden eine ständige Leistungsverbesserung ist. Falk Richter, der in seinen Stücken stets einen gesellschaftskritischen Ansatz verfolgt, tat dies auch eben auch schon 2004, zu Beginn seiner Karriere. Er porträtiert die Arbeitswelt und insbesondere die Zukunft (heute schon Gegenwart?), verbunden mit all den Sinnlosigkeiten: permanente Leistungssteigerung, Fortschritt, Effizienz, mehr Nutzen, Outsourcing, Personal Effectiveness, Entrepreneural Spirit – alles größtenteils englische Worthülsen, die dem Unternehmens-Jargon entliehen sind. Die drei Protagonisten, alle männlich und Berater, gehören unterschiedlichen Generationen an: Da ist Karl Sonnenschein (Mark Waschke) als Jüngster, der in der Blüte seiner Karriere steht und sich ständig beruflich und sportlich optimiert; Aurelius Glasenapp (André Szymanski), etwas älter, auch frustrierter, der die Rettung seiner Seele in einer Geschichte über eine Robbe sucht, die er, halbnackt über Eiswürfel auf dem Tisch schlitternd, gleich selbst auch verkörpert; Paul Niemand (Thomas Thieme), der Älteste, der in zahlreichen Monologen seiner Verzweiflung, seiner Unsichtbarkeit und Obsoleszenz Ausdruck verleiht. Es gilt, vor allem ihn für das Wohl der Firma, aber auch der gesamten Gesellschaft, outzusourcen. Er muss wegrationalisiert werden, denn Menschen Mitte vierzig bringen Unternehmen keinen Nutzen und somit auch nicht dem profitorientierten Wachstum einer Gesellschaft. Sie werden langsamer, sehen womöglich mehr Freude und Sinn in ihren Familien, erkennen ein Leben, für das sie wegen der Karriere keine Zeit haben, und können somit nicht mehr zur Gewinnmaximierung beitragen. Sie geben sich nicht mehr auf für das Unternehmen.
Falk Richter treibt es ins Extreme: Am Ende rationalisiert sich der Mensch selbst weg. Der Mensch wird eine Ressource, die längst überflüssig geworden ist, keiner braucht sie mehr. Die Welt, die er geschaffen hat, ist gar nicht für ihn selbst. Er wird ersetzt durch Computer, selbstfahrende Autos, einkaufende Roboter, Überwachungskameras, die alles Kranke herausschneiden und ein Bild des Menschen entwerfen, das nichts mit ihm zu tun hat. So endet „Unter Eis“ zwangsläufig in einem apokalyptischen Szenario: Es gibt keinen Menschen mehr, sondern nur noch Dinge, denn der Mensch hat es verpasst, die Schönheit der Welt und des Lebens zu erkennen.
16 Jahre später können wir uns fragen, wie weit wir von einem solchen Szenario eigentlich entfernt sind. Unter dem Vorwand der Zeitersparnis und Konzentration auf wichtigere Dinge überlassen wir es Alexa, Musik für uns zu spielen und unsere Gäste zu begrüßen, unserem Kühlschrank, Einkaufslisten zu machen, unseren Autos, für uns einzuparken. Aber geben wir uns nicht eigentlich nur unserer Bequemlichkeit hin und damit unsere Selbstständigkeit auf?
Erneut ist meine romantisch-naive Hoffnung geweckt, dass Corona zu einer Neubewertung von Arbeit führt. Welche Berufe sind wichtig, welche machen sich wichtig? Neben Pflege- und Gesundheitsberufen und Menschen in Supermärkten etwa ist es sicher auch die Kultur, die den Menschen einen Mehrwert bringt, das Leben schön macht und nicht wegrationalisiert werden sollte.