Foto: Die wichtigsten Heldenstationen werden durchgespielt: hier Michael Wittenborn, Lina Beckmann, Yorck Dippe, Ute Hannig und Clemens Sienknecht. © Matthias Horn
Text:Sören Ingwersen, am 29. September 2019
Wo Türen mit einem luftigen „Pffff“ geschmeidig auseinandergleiten, bunte Lämpchen auf Schaltpulten blinken und ein breites Fenster im Hintergrund die Sicht auf Sterne und Planeten freigibt, werden Jugenderinnerungen reaktiviert. Auch das Personal des Radiosenders „Rock-Antenne Walhalla“ scheint einer TV-Space-Opera der 1970er Jahre entsprungen – wären da nicht die fönfesten Vokuhila-Frisuren und die großformatigen Brillen, die eher die Modeverfehlungen der anschließenden Dekade zitieren.
Nach „Effi Briest“ und „Anna Karenina“ haben Barbara Bürk und Clemens Sienknecht am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg nun einen weiteren klassischen Stoff in ihr retro-trashiges Paralleluniversum überführt: „Die Nibelungen – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“. In den tragenden Rollen der Nibelungensage bedienen die sieben Schauspieler zugleich auch das Radioformat: Da wird moderiert, werden kalauernde Werbejingles chorisch vorgetragen, sorgt die aktuelle Verkehrsmeldung für eine Ausblendung an der spannendsten Stelle, und für die Stimme des Erzählers wird in vereinter Runde ein knisternder Plattenspieler eingeschaltet, der selten das tut, was er soll. In zwei Stunden werden so die wichtigsten Stationen der Heldenerzählung in kurzen Spielszenen angesteuert – komisch gebrochen auch durch fleißiges Einstreuen von Pop-Songs der 1980er Jahre, wobei die Palette von Pink Floyd über Genesis bis zu Steve Wonder reicht.
Clemens Sienknecht legt als wasserstoffblonder Siegfried nicht nur Klavier und Synthesizer die Finger auf, sondern zwingt mit seinem kräftigen Händedruck auch Freund und Feind in die Knie. Mit eingespieltem Löwengebrüll lehrt die herrlich über die Stränge schlagende Lina Beckmann als Brunhild ihrem hasenfüßigen Verehrer Gunther (Yorck Dippe) das Fürchten, während Markus John als Hagen von Tronje bei der Ermordung Siegfrieds zur Sicherheit mit der Lanze noch einmal kräftig nachbohrt. Als füllig ausgestopfter Hunnenkönig Etzel gibt Michael Wittenborn den grobschlächtigen Partnerersatz für Siegfrieds Witwe Kriemhild (Ute Hannig), und Friedrich Paravicini setzt als schlaksiger Volker von Alzey mit seiner Glitzergarderobe der Kostümkunst von Anke Grot das Sahnehäubchen auf.
Dennoch: Im fliegenden Wechsel von Spielszenen, Gesangeinlagen, trickfilmartigen Geräuscheffekten und patent choreografierter Situationskomik zeigen sich Abnutzungserscheinungen, zumal viele der Musiknummern – bei denen die Schauspieler sich an verschiedensten Instrumenten ausprobieren – nicht wirklich zünden. So kitzeln diese Nibelungen das Zwerchfell leider nur an der Oberfläche, sind aber immerhin ein netter Zeitvertreib.