Foto: Das Ensemble in "The Situation" von Yael Ronen © Ute Langkafel MAIFOTO
Text:Michael Laages, am 7. September 2015
Reden sie sich das Schlachtfeld schön? Neutral jedenfalls, vielleicht auch naiv und beinahe nett klingt es, wenn Israelis und Araber (so teilt die Regisseurin Yael Ronen dem Publikum mit) von jenem Kampf sprechen, in den die Völker des Nahen Ostens verstrickt sind seit der Gründung des israelischen Staates im ehemaligen britischen Mandatsgebiet vor 67 Jahren. Hamas-Bomben mögen auf Israels Städte fallen und die Armee mag Vernichtungsfeldzüge führen im palästinensischen Gaza – „The Situation“ nennen die Beteiligten die so ausweglos erscheinende Gemengelage am östlichsten Rand vom Mittelmeer. Noch neutraler wirkt „The Situation“ allerdings, wenn sie (wie in Yael Ronens neuem Recherche-Stück, uraufgeführt zum Saisonstart am Maxim Gorki Theater in Berlin) herunter gebrochen wird und zusammenschnurrt auf 100 Minuten Deutsch-Unterricht in der Multikulti-Metropole.
Das nämlich ist der Plot – in irgendeiner Fördereinrichtung unterrichtet Stefan; er, der immerzu und aller Welt gegenüber gutmütig-wohlwollende Deutsche, wird zum Katalysator für eine einige Konflikte. Und als ob die fremden nicht genügten, kommen die hausgemachten noch hinzu: Einerseits nämlich unterrichtet Stefan ein Paar, sie jüdische Israelin, die schon viel, und er arabischer Israeli, der noch gar kein Deutsch spricht; die beiden wollen sich trennen – aber nicht des Glaubens wegen, sondern weil sie Frau und er Mann ist. Beides zusammen gehe nicht. Stefan seinerseits hatte in der eigenen Wohnung obendrein ein Zimmer an eine geflüchtete Palästinenserin vermietet, zwischenzeitlich aber einem Syrer auf der Flucht überlassen; jetzt kommt die frühere Untermieterin zurück und bringt noch einen radikalen Rapper aus dem Lager Genin mit. Alle formulieren in gut geschliffenen Statements ihre Positionen – und Stefan ist der Punchingball dazwischen.
Kurz vor Schluss allerdings erfahren wir, dass auch Stefan eigentlich geflüchtet ist; besser: ausgewandert, aber „nach Hause“. Er ist Russlanddeutscher und hieß daheim in Kasachstan noch Sergej. Geschickt bringt Ronen so vergangene deutsche Flüchtlings-Geschichten ins Spiel: Syrer von heute trifft Russen von damals.
All diese biographischen Stränge sind effektsicher und pointiert montiert; sie verknäueln sich im Berlin von heute und erzählen damit wieder etwas vom Charakter der Stadt, jenseits der überkommenen Ost- und West-Prägungen der Stadt. Junge Juden treffen auf Überlebende des Holocaust und deren Nachkommen wie auf die Kinder und Enkel der Täter-Generation, Palästinenser von heute treffen auf jene, die schon vor Jahrzehnten flüchteten… und mittendrin agiert nun Stefans Syrer, der ziemlich cool über die eigene Leidensgeschichte hinwegjuxt und sich mit einem fliegenden Imbiss-Stand umgehend selbständig macht.
Ronens sechsköpfiges Ensemble, Dimitrij Schaad und Ohrit Nahmias voran, haben sicher wieder viel zur Struktur des Abends beigetragen – das zentrale Risiko konnten aber auch die Mitstreiter der Regisseurin nicht mindern. Denn wie frech und frivol auch oft die Dialoge perlen, das Stück als Stück, als dramatischer Entwurf, kommt überhaupt nicht von der Stelle. Das Neoberliner Panorama der Fluchtbewegungen ist statisch und führt zu nichts; auch nicht zu tieferen Erkenntnissen über Charakter und Struktur der „Situation“. Wenn erstmal alle aufgetreten und also „im Spiel“ sind, ist das Spiel auch fast schon zu Ende.
So ähnelt „The Situation“ einem schönen großen Windbeutel – recht lecker am Rand, doch im Kern viel Luft; nahöstlich aufgeheizt zwar, gewiss, aber eben doch nur Luft. Yael Ronens Erfolg jedoch hält trotzdem an: als eine Art Multi-Kulti-Comedy. Jubel braust in Berlin; und in der neuen Saison bereichert Ronens Stil dann auch Anna Badoras neues Volkstheater in Wien.