Foto: Das Ensemble der "Letzten Tage der Menschheit" am Staatsschauspiel Dresden © David Baltzer
Text:Tobias Prüwer, am 20. Januar 2014
„Wir müssen los, Franz Ferdinand, sonst kommen wir zu spät nach Sarajewo“: Mit welcher Premiere beginnt man angemessen das Erinnerungsjahr an 1914? Das Staatschauspiel Dresden hat mit „Die letzten Tage der Menschheit“ Chuzpe bewiesen. Immerhin ist Karl Kraus’ Stück gegen kriegstreibende Volksberauschung auch geeignet, die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 und das Gedenken daran in entsprechendes Licht zu rücken. Auch Regisseur Wolfgang Engel hat einiges richtig gemacht, die Inszenierung nicht zum Museum für den Ersten Weltkrieg werden zu lassen – zunächst. Leider hält diese Stärke nicht über die Gesamtlänge des mehr als dreistündigen Abends, als sich die einnehmenden Momente verflüchtigen.
Zwischen Prolog – er war als Oszillieren zwischen Kriegstaumel und Tremor-Traumatisierten der konzentrierteste Teil – und Nachspiel liegt eine abwechslungsreiche Szenenfolge im geschickt arrangierten Bühnenbild. Eine moderne Turnhalle mit Zuschauerrängen, Spinden und Sprossenwand bildet das Gehäuse für das Kriegs-Spiel – und transportiert es in ein unterbestimmtes Heute. Auf Feldbetten lagern die neun Schauspielenden, stehen auf, wenn sie für eine Szene gebraucht werden. In loser Folge ist so von Frontreportagen zu erfahren, werden Anekdoten und Zoten, Zeitungsberichte und Satirisches unterbreitet. Wie das beruhigte Hinterland den Krieg feiert, das Militär befeuert, wird in diesem Mehrzweckbau als Flucht- und Trutzburg deutlich. Derartiges könnte man auch über die Front am Hindukusch hören. Das Spiel geht zunächst als gutes Sprechtheater auf. Chorische Elemente wirken dabei am beeindruckendsten, etwa wenn Propaganda und Ressentiment in Versform vorgetragen werden oder Liedgut für die Volksseele wie „Die Wacht am Rhein“ intoniert wird. Findige Lichtwechsel sorgen für Abwechslung.
Leider aber gleitet Engels Textauswahl – gewiss: er hatte aus über 200 Szenen zu wählen – zur Beliebigkeit ab. Es erschließt sich gerade nach der Pause nicht mehr, warum diese oder jene Episode unbedingt auch noch zu sehen sein musste. Zu diesem Eindruck tut das zunehmende Theater an der Rampe sein übriges. Schlichtweg zu oft stehen die Mimen einfach vorn am Bühnenrand und sprechen ihre Texte in den Zuschauerraum. Das wirkt dann artig aufgesagt, berührt aber zu selten. Und die überhäufig eingestreute österreichische Mundart schafft zusätzliche Distanz.
Kitsch und Pathos offenbaren sich im Schlussbild. Das Dach wird gelüftet, der Himmel reißt auf und Wolfgang Engel erscheint höchstselbst. Ganz in Weiß hält er vor einer Komposition aus blutenden Leibern und Schlachtmotiv salbungsvoll den Monolog eines Marsmenschen, der die Erde zerstört, weil sie die Menschen nicht verdient hätten. Der Vorhang senkt sich und mit letzter Tinte lichtmalt Gott: „Ich habe es nicht gewollt“. Warum muss die bewegend begonnene Inszenierung dann als solch lächerliches Front- oder Affront-Theater enden? Anachronistischer geht es nicht, der anspielungsreiche Text fällt mit dem Vorhang vollends aus der heutigen Zeit. Karl Kraus ist doch noch im Museum gelandet.