Das Heidelberger „Fabian“-Ensemble mit Hauptdarsteller Friedrich Witte am Cello

Heidelberger Berlin-Roman

Nach Erich Kästner: Fabian

Theater:Theater Heidelberg, Premiere:08.10.2021Regie:Brit Bartowiak

Erich Kästners Roman „Fabian“ wurde jüngst verfilmt und wurde von einigen Theatern auf die Bühne gebracht, von Wilhelmshaven bis zum Berliner Ensemble (in der Regie Frank Castorfs), ab März 2022 ist am Schauspiel Stuttgart  eine Premiere geplant (Regie: Victor Bodó). Nun hatte der Krisenroman des Moralisten Kästner am Theater Heidelberg Premiere. Der Fabian-Boom dürfte mit der Neuedition des 1931 nur gekürzt erschienenen Werkes unter dem Originaltitel „Der Gang vor die Hunde“ zu tun haben; aber gewiss auch mit der uns wieder vertrauteren beziehungsweise bedrohlicher erscheinenden Krisenhaftigkeit der Hauptfigur und seiner Umgebung kurz vor dem Ende der Weimarer Republik.

 

Kitsch und Krise

Fabian – mit Nachname – ist ein begabter, aber unzuverlässiger Werbetexter, ein integrer und zugleich desorientierter Mann Anfang 30; er lässt sich mit seinem Freund Labude durch das Berliner Nachtleben treiben. Anders als Labude hat der kluge Analytiker keine wirkliche Hoffnung auf eine bessere, gerechtere und menschlichere Gesellschaft. Im Moment, in dem er sich ernsthaft verliebt, verliert er seine Anstellung, sein Freund begeht Selbstmord, Fabian flieht aus Berlin zur Mutter in die Heimatstadt und ertrinkt prosaisch beim Versuch ein Kind aus der Elbe zu retten. Kästners Buch spitzt einerseits Freizügigkeiten der Großstadt und echten Verfall der Moral zu, bleibt dabei jedoch auch immer melancholisch, ja fast selbstmitleidig; deutlich ist die Hauptfigur mit ihrer spitzen Zunge und der engen Bindung zur Mutter Kästners Alter Ego, auch speist sich der Lessing-Spezialist Labude aus Autobiographischem. So ist „Der Gang vor die Hunde“ die seltsame Mischung aus personalisiert dargestelltem, schonungslosem gesellschaftlichen Krisenszenario einerseits und fast kitschiger Nabelschau andererseits.

Die Heidelberger Oberspielleiterin Brit Bartowiak lässt Friedrich Witte als Fabian auf den Stufen des Publikumsraums beginnen, begrüßt das Publikum und liest dann mal „rein“ in das Buch. Bald kommt er auf die Bühne, die im Wesentlichen mit sieben fahrbaren Sofas bestückt ist (Bühne: Nikolaus Frinke) übergibt das Buch der Souffleuse (Sarah Kreß) und begibt sich in sein Leben, als Mitspieler und als Erzähler. Fast wie in einer Nummernrevue tauchen nun die anderen Figuren auf oder begleiten das Geschehen an zwei Klavieren. Konsequenterweise entwickeln sie kaum eigene Persönlichkeit, sind eher Klischees als Menschen zu sehen: Daniel Friedl spielt unter anderen den allzu naiven Kollegen Fischer, Nicole Averkamp die Nymphomanin Frau Moll, aber auch die Mutter, Esra Schreier hat ganze neun Figuren auf der Liste, Olaf Weißenberg spielt überwiegend die wenig sympathischen älteren Männer. Auch die Kostüme (Camilla Daemen) sorgen für Zuspitzungen, die ins Leere laufen, die Tierköpfe am Schluss verstärken noch die Beliebigkeit von Fabians Umgebung.

 

Keine Haltung zu Kästner

Nur Jonah Moritz Quast kann als Labude etwas mehr Profil entwickeln, Katharina Uhland zeigt als Cornelia mit Fabian auch differenziertere Szenen. Friedrich Witte spielt überzeugend den entspannt und charmant an der Welt Verzweifelten, forciert später aber etwas seine Verzweiflung. Sein das Geschehen zusammenfassender und zuspitzender Alptraum ist andererseits auf der Drehbühne wenig drastisch illustriert. Trotz charmanter performativer Anspielungen auf die Aufführungssituation eines Romans, scheint die Inszenierung keine eigene Haltung zur Textvorlage zu suchen, sondern illustriert sie eher. Letztlich vertraut die Regisseurin dabei – etwa in der Traumszene – auf die Kraft von Kästners Sprache. Die Textfassung ist dabei schlüssig zusammengestellt. Dass Fabian zunehmend die Kontrolle über sein Leben verliert, wird dadurch deutlich, dass die anderen sechs Mitspielerinnen und Mitspieler zunehmend die Erzählerrolle einnehmen. Die Drastik der sinnlichen und vor allem moralischen Exzesse vermittelt sich in der gut zweistündigen Inszenierung jedoch weniger. Eher handelt es sich um eine moderate Heidelberger Variante des verzweifelten Berlin-Romans.