Foto: "Der Geizige" im Volkstheater Rostock © Dorit Gätjen
Text:Michael Laages, am 16. Dezember 2014
Das Stück ist wie geschrieben für das vom dauernden Sparzwang seit vielen Jahren und bis an die äußersten Grenzen künstlerischen Durchhaltevermögens gebeutelte Volkstheater in Rostock – und das Publikum soll das vom ersten Augenblick an auch merken. Auf dem (sparsamen!) Programm-Blatt fehlt ein Foto: eingespart! Eine einsame Funzel über den Zuschauerreihen stellt die Rolle des „Saallichts“ dar, und über den Rückenlehnen der Sitze liegen noch die Schutzbezüge, die normalerweise das Gestühl abdecken… Wir sollten gefälligst „schonend“ umgehen mit diesen Schonbezügen, die nutzten sich sonst viel zu schnell ab, ermahnt uns Herr Harpagon – vorsichtig nehmen wir Platz im Volkstheater; und erinnern uns jener Tage, da Matthias Brenner, jetzt Hausherr am Schauspiel in Halle (und dort ähnlich gebeutelt), in Rostock mal eine „Effi Briest“-Premiere vor leeren Reihen (und ersatzweise im Internet) zur Premiere brachte, weil der Zuschauerraum des Volkstheaters nicht mehr betreten werden durfte – aus technischen Gründen und weil die Baupolizei dagegen war.
Irgendwas läuft immer quer in Rostock. Noch immer plant die Stadt am Theater-Neubau herum, während sie das Vier-Sparten-Haus des frisch bestellten Intendanten Sewan Latchinian in Grund und Boden kürzt und der alte Theater-Bunker vor sich hin rottet. Zur Vorweihnachtszeit wird demonstriert für den Erhalt des Hauses. Und der neue Intendant nimmt alle Herausforderungen und blanken Zumutungen noch immer an mit bislang unbeirrtem Durchhaltewillen – und spart im Gegenzug nicht mit aktuellen Fingerzeigen auf hausgemachte Miseren, auf die Rostocker Zustände in der aktuellen Aufführung von Molières klassischer Sparzwang-Komödie „Der Geizige“. Die hatte Latchinian zuvor auch schon mal in Senftenberg erarbeitet, wo er ja staunenswert und über viele Jahre hin als Retter agierte – das Stück passt aber auch sehr gut zum neuen Arbeitsplatz.
Wobei wir erstaunlicherweise zunächst mal einige Sympathie entwickeln dürfen für diesen ganz auf die Lust am Besitz fixierten, extrem knickerigen Groschenzähler, Donald Ducks literarisch-theatrales Vor-Bild – Harpagons Kinder nämlich sind alle ein Alptraum für sich an Geldverschwendung. Jedenfalls hat Tobias Wartenberg sie in die entsprechend schreiend bunten Klamotten gesteckt – da tun die Augen weh! Wenn der Geizkragen von Papa nur diese beiden stoppen wollte, wäre ihm einiges Verständnis sicher, wie verschroben die Marotten des Alten sonst auch sein mögen. Überall wähnt er sich beklaut – und tatsächlich stibitzt ja La Fleche, Diener des spendablen Sohnes, kurz vor Schluss tatsächlich jene sagenhafte Kassette, die Herrn Harpagons ganzer Lebensinhalt ist.
Dieser geschundene, geprügelte, mit blauen Flecken übersäte La Fleche ist bei Ulrich K. Müller einer der starken Partner von Harpagon selbst, den Bernd Färber ziemlich grandios als spitznasigen Mäusekönig in härenem Mantel zeigt; rätselhaft verwegen nimmt sich daneben auch Alexander Wulke aus als des Geizigen Diener Jaques – er, niemand sonst, scheint Herrn Harpagon zu mögen, obwohl der ihn knechtet als Koch und Kutscher und sicher noch vieles mehr. In diesem Männer-Trio lauern auch nach Jahrhunderten einige Tücken und Fallen des Stückes – derweil der über- oder unterkandidelte Rest der Familie, unterstützt von der Kupplerin Frosine, vor allem mit dem Kampf um das Recht auf Liebe befasst ist. Weil sich mit der Enttarnung des feinen Herrn Anselme die Beziehungs- und Familien-Muster schließlich wundersam klären, geht alles gut aus. Und Herr Harpagon bekommt die Geliebte zurück: seine Kassette. Nur dass sie plötzlich ganz unnatürlich leicht ist – ist sie etwa leer?
Latchinian zeigt viel Commedia dell’arte im Molière-Material, er typisiert das Personal stark; und wenn Herr Harpagon vor der Pause mitteilt, dass jetzt eine große (und potenziell teure) Szene „eingespart“ würde, hat er die Lacher auf seiner Seite. Überhaupt bekommt der streitbare Rostocker Hausherr viele gute, solidarische Worte von all denen, die weiter ein Theater wie dieses wollen in der Hansestadt. Beunruhigend muss aber auch die Zahl derer wirken, die das alles nicht mehr interessiert nach so vielen Jahres der Wirrnis – in der Premiere war das Haus zu kaum mehr als der Hälfte gefüllt. Da bleibt noch viel zu erobern.