Foto: Szene aus „The Top Five Letters of Liaisons Dangereuses” © Misha Shenbrot
Text:Anna Opel, am 12. Januar 2024
Die Performancegruppe Showcase Beat Le Mot macht ihrem Namen alle Ehre. Ohne viele Worte verführt sie ihr Publikum in „The Top Five Letters of Liaisons Dangereuses” am Berliner HAU mit einer Show aus Spiel, Instrumenten und Mischpult.
Am Anfang fällt ein Paket vom Schnürboden auf die leere Bühne. Vier Performer im Boxeroutfit breiten ohne Hast ein buntseidiges Tuch aus. Es bedeckt die gesamte Fläche des Raums, wird nun seelenruhig gedreht, gewendet und gebauscht. Es wird das herrlichste und einfachste Stofftheater geboten, bis aus zwei Dimensionen drei geworden sind. Die Performer verschwinden unter der bunten Oberfläche. Es rumort und wird gewerkelt und nach 30 Minuten setzt Musik ein.
Nikola Duric schlüpft hervor und erklärt als Conferencier in weißer Unterwäsche den Lageplan des imaginären Schlosses – hier ungefähr der Ballsaal, da drüben die Bibliothek und irgendwo da hinten eine Bar. Er lädt ein, sich in diesem großzügigen Gebäude zu verlustieren. Oh ja, das wäre was! Mit den Performern unter einer Decke stecken, Teil des Spiels werden. Einzeln oder zu zweit begeben sich die Neugierigen unter die aufgebauschte Oberfläche. Achtung: hier heißt es schnell sein, denn im Luftschloss ist nur Platz für wenige. Auf die schwarzen Wände werden grafische Zeichnungen projiziert (Tom Wölke, Anna Kube), die Musik (Barbara Morgenstern, Mike Majkowski) wummert chillig, der Vorhang bläht sich. Wer am Eingang zur Stoffhöhle alias Schloss ansteht, hat die Draufsicht auf das wogende Bunt und führt die Fantasie spazieren.
Ein Abend für Voyeure
Die Gießener Performance Truppe Show Case Beat le Mot, wie Gob Squad und She She Pop Ende der 90er Jahre aus der Gießener Angewandten Theaterwissenschaft heraus entstanden, steht für darstellerisches Understatement. Was hier passiert, ist kein Theater im psychologischen oder sonstwie virtuosen Sinn. Die Performance-Boygroup überzeugt mit starken Settings, in denen das Publikum programmatisch inkludiert wird.
Ein Abend über Revolution war im Pressetext angekündigt: Man befände sich am Vorabend der Französischen Revolution, das Ende einer Soiree, die Volieren werden geöffnet und die Vögel machen Bekanntschaft mit der Freiheit.
Gefährliche Liebschaften, Liaisons Dangereuse, der Briefroman des Choderlos de Laclos aus dem späten 18. Jahrhundert wird als literarische Referenz angegeben. Aber die titelgebenden Briefe, The Top Five Letters, eignen sich nur sehr vage als Interpretationsrahmen dieser Show. Er hilft, das Karussell der Assoziationen anzuschubsen.
Irgendetwas braut sich im Untergrund zusammen. Aber das ist keine demokratiefeindliche Umsturzbewegung, sondern Verführung zur Fantasie und Gemeinschaft. Showcase zeigen weder Guillotine, noch rollende Köpfe, nicht mal den Sex, der den Roman-Verfilmungen von Stephen Frears (Gefährliche Liebschaften) und Milos Forman (Valmont) Ende der 80er Jahre zu Erfolg verhalf. Hier sind unter dem seidigen Stoff nur strampelnde Beine zu sehen.
Rüssel an Schwanz hinterher
Als das große Tuch in der zweiten Hälfte von den Performenden zum Sitzkissen umfunktioniert wird, lasse ich die inneren Interpretationswerkzeuge endgültig sinken. „L’art pour l’art“ oder „Love pour Love“? Das oder ähnliches singt Barbara Morgenstern am Keyboard, auch Liberté und Egalité werden beschworen. Und es ist schön, zuzusehen, was hier gespielt wird. Mit Melisa Su Taşkıran haben sich die reifen weißen Männer des Kollektivs eine junge Performerin dazu geholt, der sie stimmlich und pantomimisch folgen. Als ulkiger Wurf Katzen wird zum Sägengejammer gemaunzt, man putzt und reibt sich, ein Kobold mit Federgesicht tanzt und all das ist auch merkwürdige Weise durchaus ein ernsthafter Kommentar zum Weltgeschehen.
Vielleicht ist das ja die Revolution? Im Real Life toben Intrigen und Kriege. Showcase Beat le Mot inszenieren den Theaterraum als utopische Gegenwelt, als Nature Theater. Rüssel an Schwanz windet sich die Gruppe durch den Raum, man schnuppert am Keyboard und am Ende wird uns das große bunte Tuch vor die Füße gelegt. Machen wir etwas daraus!