Foto: Dichterpose in bewegter Zeit: Paul Wilms als Carl Bischoff. Foto: Thomas M. Jauk © Thomas M. Jauk
Text:Erik Zielke, am 1. Februar 2025
Die Bühnenadaption von Lutz Seilers Roman „Stern 111“ wird von Esther Hattenbach am Hans-Otto-Theater Potsdam inszeniert und bietet nicht viel mehr als der Roman selbst. Die Atmosphäre von der Mitte Berlins bleibt fern und poetische Bilder verfliegen schnell.
„Der ‚Stern 111‘, er leuchtet spektral.“ So lautet der erste Satz der Jurybegründung zur Vergabe des Leipziger Buchpreises vor fünf Jahren an Lutz Seiler für seinen Roman mit ebenjenem Titel „Stern 111“. Seiler, so das Urteil, erzähle „vom sich binnen kurzem veränderndem Herzschlag der Mitte Berlins“. Und auch die Literaturkritik war sich in den Rezensionen des vielbesprochenen und viel gelobten Buches ziemlich einig: Dieser Roman fängt die Atmosphäre einer Zeit literarisch ein, das ist seine Stärke. Dafür hat Seiler in der eigenen Biografie gegraben und Zeitgeschichte mit dem Selbstfindungsversuch seines Protagonisten klug und lässig überlagert.
Die Regisseurin Esther Hattenbach hat den dichten Prosastoff nun – in drei Stunden, bei einer Pause – am Hans-Otto-Theater Potsdam für die Bühne eingerichtet und bleibt nah am Handlungsgerüst der Vorlage. Es ist das Jahr 1989, die Mauer ist geöffnet. Fast über Nacht machen sich Inge und Walter Bischoff auf von Gera in den Westen und lassen es dabei gewiss nicht am unbedingten Willen zur Anpassung fehlen. Zurück bleibt ihr gerade erwachsener Sohn Carl, der nur stückweise von den Beweggründen seiner Eltern erfährt und der verpflichtet wird, Haus und Auto zu hüten. Carl schlägt sich in Berlin als Taxifahrer durch und gerät unter die Hausbesetzer. Er wird Teil einer Arbeiterkneipe, der es merklich an Arbeitern mangelt, nicht aber am Widerstandsgeist gegen die sich ankündigenden neuen Verhältnisse im Zeichen des Kapitals. Er findet schließlich seinen Weg zum Dichterdasein.
Punk und Bravheit
Bei all dem transportiert sich auf der Bühne von der Atmosphäre allerdings denkbar wenig. Der Herzschlag der Mitte Berlins jedenfalls ist nicht zu spüren. In der Hausbesetzerszene geht es ziemlich gesittet zu. Selbst die live eingespielte Punk-Musik ist eher wohltemperiert als anarchisch-wild. Die Inszenierung krankt letztlich an ihrer Bravheit. Hier wechseln Erzählton und Spielszenen ab, lassen die Romanhandlung in der Bühnenfassung von Esther Hattenbach und Dramaturgin Bettina Jantzen durchaus plausibel werden – allerdings passiert das denkbar leidenschaftslos. Nur gelegentlich gelingen einige poetische Bilder, die dann aber doch nicht über den langen Abend tragen.
Berlin im Umbruch: Eine Arbeiterkneipe ohne Arbeiter. Foto: Thomas M. Jauk
Eine Zeit, in der vieles möglich schien, das wilde Berlin und leider auch das neunköpfige Ensemble – all das scheint vom Parkett aus ziemlich weit entfernt. Die in Roman und auf der Bühne propagierte „Freiheit, frei zu sein“ bleibt abstrakt. Dabei sollten die zwei Musiker Johannes Bartmes und Michael Koschorreck, die die gesamte Inszenierung begleiten, auf einem Baugerüst (als Sinnbild für eine Gesellschaft im Umbau) sitzend, die Stimmung einfangen.
Aber mit den Ostrockgrößen Keimzeit, Sandow, Gundermann hat die Regie uns keinen Gefallen getan. Zu klischiert wirken die rauf und runter gespielten Hits, die diese an Legenden reiche Zeit geprägt haben sollen. Spätestens wenn dann die Westler auch noch mit Bananen aufwarten und Hauptfigur Carl (gespielt von Paul Wilms) vor dem Polylux Platz nimmt und seine Gedichte an die Wand projiziert, ahnt man, dass die ost-westlichen Widersprüche anders zugespitzt sicher besser zum Tragen gekommen wären. So kann die Inszenierung dem Roman wenig entlocken, fast nichts hinzufügen.