Foto: Stella Hilb als Richard III. am Schauspiel Hannover © Kerstin Schomburg
Text:Detlev Baur, am 9. September 2023
Shakespeares „Richard III.“ ist der vielleicht größte Schurke der dramatischen Weltliteratur. Am Schauspiel Hannover ist Richard, gespielt von Stella Hilb, in der Neufassung von Michel Decar das effektivste Mitglied einer verkorksten Familie. Eine grotesk-komische Inszenierung von Matthias Rippert.
Hässlich, schlau und gewissenlos. Ein menschliches Monster. Am Ende der gut zweistündigen Saisoneröffnung antwortet Richard, der sich durch zahlreiche Morde zum König gemordet hat, seinem ängstlichen Neffen Prinz Edu auf die Frage, wie Monster aussehen: „Ach, weißt du, wie ganz normale Menschen.“ Und tatsächlich ist Stella Hilb in der Titelrolle ein ziemlich normal wirkender Zeitgenosse; ob Frau, ob Mann, sie ist eine stille Strippenzieherin, die oft die Hände tief in die Hosentaschen ihres schwarzen Anzugs (Kostüme: Johanna Lakner) vergraben hat. Umgeben ist diese:r Richard von einer eindeutig furchtbaren Familie, allen voran die kratzbürstig bösartige Mutter, gespielt von Irene Kugler mit kanzlertauglicher Augenklappe. Die Verachtung für die Kinder hat um sie herum egozentrische, empathielose Wesen geschaffen.
Effektive:r Außenseiter:in
Stella Hilbs eher ruhiger Richard fühlt sich da nicht als einziger wie ein Außenseiter, nur ist er im Unterschied zu den Mitmonstern der Familie eben klüger und konsequenter. Als Prinz Edu (Nikolai Gemel) nach dem Tod seines Vaters als künftiger König im Kontakt mit den Bediensteten „Echtes“ und „Hässliches“ sehen will, wirkt selbst Richard ob der angedeuteten Perversionen erschüttert. Die politische Dimension ist in Michel Decars Fassung reduziert; auch wurden zahlreiche Figuren und Handlungsstränge bis zum final fehlenden Pferd Richards gestrichen.
Und doch begeht diese:r Richard die von Shakespeare beschriebenen Schandtaten, abgesehen vom Mord am Neffen und Thronfolger. Wenn er in der letzten Szene Richard und der verzogene Neffe fast liebevoll über Monster sprechen, liegen die Leichen des vergifteten Dieners, der eigenhändig erstochenen Gattin auf dem Boden, auf dem Tisch steht der abgeschlagene Kopf des ehemaligen Vertrauten Bucky – was aber zwischen Prinz und Usurpator-Onkel noch geschehen wird, bleibt offen. Stella Hilbs Richard ist ein eher sachlicher Killer. Wenn sie der Nachwelt mit einem Buch droht, das die Wahrheit liefern werde, oder an anderer Stelle sich in Trump-Aiwangerscher Manier über „die da oben“ beklagt, werden neue Fährten angerissen, die der Text allerdings nicht weiter verfolgt.
Entlastende Groteske
Während Richard uns insgesamt nahe rückt, bleiben die anderen Figuren als unerträglicher Clan auf Distanz. Fabian Liszts Bühne zeigt einen weiten holzgetäfelten Raum im Halbrund – zwischen Villa, Hotel und Staatsräumen –, jedenfalls eine ungesunde Umgebung für das Familienleben. Scharf trennt eine blendende Lichtleiste, die von oben heruntergefahren wird, die Szenen voneinander. Matthias Ripperts Inszenierung verfremdet – auch durch die oft gruselig dräuende, leise Musik von Robert Pawliczek – das Geschehen deutlich. Und sie betont besonders durch die Butler-Berater-Killergestalten Bucky (Lukas Holzhausen) und Catesby (Cino Djavid) gelungen die grotesk-komische Seite des Dramas. Das Grauen wird hier zwischen Unterwürfigkeit, Berechnung, Geld-Geilheit, Abgestumpftheit und letzten Spuren von Gewissen grandios komisch. Es bleibt aber auch auf Distanz zum Parkett; das Stück über Macht und Rache rückt dem Publikum in dieser Uraufführung nicht auf den Leib. Das macht diesen unterhaltsamen „Richard III.“ erträglich, bedeutet aber auch einen Verlust an Dringlichkeit.