Foto: Die Uraufführungsinszenierung von "Flaschengeld" an der Badischen Landesbühne Bruchsal. Von links: Markus Wilharm, Alexander Gaida, Tülin Pektas, Sandra Förster © Peter Empl
Text:Manfred Jahnke, am 21. September 2015
Eingebunden in den Rhythmus der Jahreszeiten erzählt Lisa Sommerfeldt in vielen knappen Szenen vom Lebenswillen vier junger Menschen. Hanna ist neu an die Schule gekommen, sie fällt auf, weil sie teure Klamotten trägt. Molly hingegen ist dick und eher eine graue Maus, Janis hungrig, weil er keine Frühstücksbrote mitbekommt und Paul bekommt nur sein Brot, solange der Vater für ihn zahlt. Hinter jeder dieser Figuren steht eine Geschichte, bei Molly ist der Vater abgehauen und der Bruder ins Heim gekommen, weil die Mutter trinkt, Janis muss sich allein durchschlagen, weil seine Eltern keine Zeit haben. Paul schließlich muss damit klar kommen, dass der Vater ausgezogen ist und eine Neue hat. In „Flaschengeld“ hat die Autorin, die für dieses Stück 2009 mit dem Berliner Kindertheaterpreis ausgezeichnet wurde, in Berlin recherchiert. Aber die Autorin bleibt nicht in der Beschreibung eines Prekariat-Milieus haften, dafür taugt schon die knappe, poetisch rhythmisierte Sprache nicht, die naturalistische Anfechtungen weitgehend vermeidet. Aber mehr noch liegt es daran, dass Hanna anders als die anderen Figuren ihr Geheimnis ziemlich lange wahren kann. Das macht es spannend, ebenso, wie die Figuren nicht als Opfer vorgeführt werden, sondern auch in ihren Sehnsüchten und Lebensbehauptungen gezeigt werden. Jede der vier jungen Agierenden erarbeitet sich eine eigene Strategie, um sich gegenüber der Welt zu behaupten versucht, in der das Geld regiert und da wünscht sich Michelle am Ende „Das man das ändert.“
Der Uraufführungsinszenierung von Joerg Bitterich an der Badischen Landesbühne Bruchsal gelingt es, durch eine streng formale Inszenierung die Fallen, die das Stück durchaus enthält, zu entgehen. Silvio Motto hat dazu einen Spielraum geschaffen, der neben einer Mülltonne im wesentlichen aus einem variablen Gestell aus fünf Wänden besteht, drei mit transparentem Material bespannt, zwei nur als hölzerner Rahmen. Mit diesen Wänden lassen sich nicht nur unterschiedliche Spielräume bis hin zu einem geschlossenen Kasten herstellen, sondern sie dienen auch als Projektsfläche von Videos, in denen sich die Sehnsüchte und Erfahrungen der Vier spiegeln, von den Schönen der Welt bis hin zum Karussell. Dieses antinaturalistische Prinzip setzt Bitterich auch konsequent in der Spielweise um. Er lässt seine Darsteller auf der Bühne keine face-to-face-Interaktion machen, wenn sie dialogisch kommunizieren, sondern lässt sie nebeneinanderstehend frontal ins Publikum sprechen. Mit diesem Kunstgriff erreicht er, dass die Konzentration der jungen Zuschauer, deren Abstraktionsvermögen er vertraut, auf die Sprache und die Präsenz der Schauspieler gelenkt wird, die trotz aller formalen Strenge ihren Spielraum haben und nutzen.
Tülin Pektas als Michelle, am Anfang ein verhuschtes graues Wesen, entwickelt im Verlauf der Aufführung eine immer reichere Figur, die etwas aus sich macht. Sandra Förster führt die ganz auf Modell-Karriere getrimmte Hanna zunächst als arrogant-schnippisches Mädchen vor, das dann in der Begegnung mit anderen immer weichere Konturen erhält, zugänglicher wird, wobei, wie gesagt, ihr Geheimnis lange gewahrt wird. Warum sie aber stiehlt, bleibt dabei ausgeblendet, wie auch der Lebensplan, als das große Modell in die Geschichte einzugehen. Während sich bei den beiden Mädchen die Verhaltensweisen verändern, ist bei Janis keine Entwicklung zu beobachten, Markus Wilharm spielt ihn als den großen Schweiger, der wenig redet, aber handelt. Alexander Gaida als Paul muss die schwierige Situation spielen, zwischen den Parteien zu stehen und seine Position immer neu auszutarieren. Das macht er – wie die anderen Drei auch – überzeugend.
Da ist in Bruchsal eine spannende Uraufführungsinszenierung gelungen.