Foto: Gregory B. Waldis in „Kolls letzter Anruf“ am Stadttheater Fürth. © Bernd Böhner
Text:Dieter Stoll, am 7. Oktober 2011
Wie kriminell sind Richter und Staatsanwälte, wie korrupt ist das ganze Justizsystem der freien Welt? Der nach eigener Einschätzung als „Scheißkerl“ mit Hang zum „Postzynismus“ durchs Leben laufende Miki Koll, der die Frage in Joshua Sobols Monodrama „Kolls letzter Anruf“ direkt am Eingang zum Knast aufwirft, ist ein Anwalt mit rumpelnden Idealen und Empörungs-Potenzial. Einer, der in der Kanzlei von „Boston Legal“ hospitiert haben könnte. Er hat nicht nur mit allen Mitteln der freihändigen Juristerei einen Kritiker der Pharma-Industrie gegen deren Übermacht zu verteidigen versucht, sondern bei der manipulierten Urteilsverkündung „Euer Ehren“ wütend die Brille von der Nase geschlagen. Dafür verlor er seine Zulassung und muss ein Jahr ins Gefängnis – falls nicht in den letzten Minuten, ehe das Handy vom Wachpersonal einkassiert wird, noch ein Fernsprech-Wunder geschieht. Ob und wie, darin besteht die enorme Spannung in dem nahezu ausschließlich auf Handy-Dialoge gestützten Stück, das dem Zuschauer das Vertrauen auf Flatrates und höhere Gerechtigkeit zurückgibt.
Der israelische Autor Joshua Sobol, der zwischen seinem Welterfolg „Ghetto“ und seinem Versuch mit „Jud Süß“ für Dieter Wedels Wormser Nibelungen-Festspiele 2011 viele Formate bediente, hat mit dem Koll-Porträt ein raffiniertes Solo geschrieben, das gar keines ist. Indem er die Aktionen seines ständig vom eigenen Zorn überspülten Maulhelden an die hektisch wechselnden Telefon-Partner koppelt, entsteht für den Zuschauer allein aus der Art des Gesprächs eine Galerie holzgeschnitzter Charakterköpfe. Man hört gebannt zu und glaubt, die unsichtbare Figur am andern Ende der Leitung zu durchschauen. Das hat hohen Unterhaltungswert, denn neben einer betulichen Bibliothekarin mit Internet-Blick, der zickigen Ex-Ehefrau Nr. 3 und der mit Aussicht auf Millionen-Gewinn geköderten Anwältin klingelt immer wieder die besorgte Mutter durch. Ihr wird, während auf den anderen Leitungen schon die Nerven kitzeln, die Idylle eines „braven Jungen“ beim Abflug nach Afrika vorgegaukelt. „Nein, Mama, da gibt es keine Menschenfresser mehr“.
Der in der Pointensetzung von mehr als 50 Stücken erfahrene Autor kommt bei der Deutschland-Premiere im Fürther Kulturforum, die nach der dortigen Serie auf Deutschland-Tournee geht, auch als Regisseur schnell auf den Punkt. Er lässt Gregory B. Waldis zwar alle geschminkte TV-Glätte („Sturm der Liebe“, „Tierärztin Dr. Mertens“) abstreifen, nutzt aber die Instant-Dramatik der Soap-Kunst für flotte Wirkungstreffer. Der Darsteller lenkt die Figur immer am Rande des Nervenzusammenbruchs, stürzt sich dennoch elegant in die angebotenen Zynismen, nimmt Sinnsprüche zum Nachhäkeln mit („Das Gewissen überlebt nur, wenn wir es auch anwenden“) und spaziert so auf dem Boulevard der Gebrauchs-Philosophie strahlend ins Finale. Da war der Koll schon längst Sympathieträger und konnte ungestört an der Rache naschen. „Ich mach Sie fertig!“, ruft er ins Handy – und darf auf allgemeines Verständnis hoffen. Vielleicht hat jetzt Michael Moore einen Job für ihn.