Foto: Hamlet (Christian Friedel) rockt den Theaterpalast in Dresden. © Matthias Horn
Text:Detlev Baur, am 27. November 2012
Schauspieler in diesem „Hamlet“? Fehlanzeige. Das „Mausefalle“ genannte Spiel, durch dessen Aufführung Hamlet seinen Onkel als Brudermörder und Usurpator überführen will, verwandelt sich in Roger Vontobels Inszenierung zu einem von zahlreichen rockig-punkigen Liedern, mit denen Hamlet und Band die erste Hälfte des Spiels dominieren. Andererseits – natürlich doch – spielt das Theater hier im Sächsischen Staatsschauspiel sehr wohl eine Rolle. Claudia Rohners Bühne schließt hinter dem Vorbühnen-Podest für die fünf jungen Musiker mit Logenrängen ab; diese führen das Dresdner Staatsschauspiel auf die Bühne weiter und schließen es somit im Kreis um das Publikum herum ab. Ganz ausdrücklich betont Christian Friedel als musikalischer Prinz, dass er auf die Entlarvung „schuldiger Geschöpfe durch die Bühne“ zählt. Sehr gedankenklar, auch wegen der hier aussetzenden musikalischen Untermalung, gerät sein Monolog über „Sein oder Nicht-Sein“. Ansonsten ist dieser Hamlet vor allem ein spätpubertierender Weltverweigerer, ein musischer Gruftie. Der „Mausefallen“-Song ist vom Text her eigentlich die nachgeholte Gespenster-Szene vom Anfang des Stückes, in der Hamlets Vater vom Mord des Bruders berichtet und seinen Sohn zu Rache aufruft. Das Gespenst in der Dresdner Inszenierung ist Hamlet selbst. Die Gründe für sein Abdriften sind dabei nicht so ganz klar, zumal Torsten Ranfts Onkel Claudius kein unsympathischer Herrscher und Onkel ist. Der Verdacht liegt nahe, dass Hamlet sich einfach etwas zu viel mit seiner Band in jugendlicher Orientierungslosigkeit badet. Das ist bei aller Verkürzung keine uninteressante Deutung des Über-Dramas „Hamlet“.
Die Inszenierung läuft überzeugend ab, mit den melancholisch-musikalisch-monologisierenden (auch Sonette Shakespeares bilden hierfür die Textgrundlage) Liedern, kurzen Zwischenszenen in den Logen, mit Claudius und Gertrud in der Mitte, und Polonius mit Ophelia und Laertes sowie Rosencrantz und Güldenstern in den seitlichen Logen. Diese beiden jungen Männer erinnern mit ihren schicken Pollundern an englischen Hochadel heute und bilden damit an oberflächliche Gegenpole des Jungkünstlers Hamlet. Der treue Freund Horatio (Sebastian Wendelin) hingegen kommt immer wieder aus dem Zuschauerraum Hamlet zu Hilfe. So bedient er eine Kamera während des Mausefallenspiels, schon zuvor wurden Szenen aus verhängten Logen oder vom Raum hinter der Bühnenwand mit Video live übertragen. In diesem Theaterrund beobachtet jeder jeden. Ophelias (Annika Schilling) Leiden erklärt sich so weniger aus Liebesverwirrung als aus der öffentlichen Bloßstellung durch Hamlet und durch den eigentlich gar nicht bösartigen Vater (Ahmad Mesgarha).
Nach der Pause sind aus den inzwischen nach hinten gefahrenen Logen Zimmer geworden; da sitzt Claudius auch schon mal auf dem Klo und wird so für den Beobachter Hamlet zum Sinnbild seiner zum Himmel stinkenden Schuld. Insgesamt gerät dieser zweite Abschnitt der sich tödlich zuspitzenden Tragödie jedoch ziemlich konventionell und langatmig. Ophelia leidet mit König und Königin, Laertes erscheint mit Pistole, wild Rache einfordernd, und Hamlet musiziert nicht mehr, bringt dafür den lauschenden Polonius um, nachdem er seiner Mutter (Hannelore Koch) eine hysterische Szene gemacht hatte. Doch dann versinkt das Palast-Logen-Gebäude im Boden und hinter dem übrig gebliebenen roten Teppich tut sich ein weites Sternenrund auf. Hier wandeln vor dem weiten All verloren Hamlet und Horation, bis sie der toten Ophelia als Revuegirl-Totengräberin begegnen. Sie wird gleich anschließend gemeinsam mit ihrem Vater zu Grabe getragen. Die beiden Toten sind dann neben Horation die einzigen Figuren, die Hamlet beim blutigen Finale zusehen, das sich als ausgespielte Einbildung erweist. In einem letzten großen Solo zeigt dieser verwirrte junge Mann König und Königin als sterbende Zuschauer und das Duellanten-Paar Laertes und sich selbst; er springt dabei leichtfüßig und überzeugend von einem Todeskandidaten zum anderen. Der Rest ist ein beschwichtigendes Wort des Königs aus seiner, wieder vorgerückten, Loge über den toten Hamlet. Das über weite Strecke unterhaltsame Spiel ist erneut auf Anfang gestellt, Hamlets Leiden war so begründet vielleicht nicht, aber weitgehend sehr unterhaltsam. Die Inszenierung schafft ein teilweise überzeugendes Alptraumspiel, das sich ganz auf den überragenden, so sensiblen wie dynamischen Hauptdarsteller Christian Friedel konzentriert.