Foto: Fühlt sich von allen verraten: Titus Witt als Figaro © Patrick Sobottka
Text:Sören Ingwersen, am 7. Oktober 2023
Regisseur Alfonso Romero Mora hat an der Hamburger Kammeroper mit der dem zweiten Teil von „Figaros Hochzeit“ mehr als überzeugt. Zum Glück wurde dieses Werk wiederentdeckt.
Auch wenn der beschürzte Figaro mit seinem Staubwedel emsig die von mächtigen Kerzen beschienenen Burgwände putzt, ist er doch für eine schmutzige Intrige immer zu haben. Inez, die Tochter seines Herrn, Graf Almaviva, will er mit dem Nichtsnutz Torribio verkuppeln, um sich mit diesem dann die üppige Mitgift zu teilen. Inez allerdings hat es auf einen anderen Verehrer abgesehen: Cherubino, der sich bald als zweiter Figaro in Almavivas Haus einschleicht. Die Konflikte, in denen auch Figaros Frau Susanna, die Gräfin Almaviva und der einfältige Dichter Plagio kräftig mitmischen, sind vorprogrammiert.
Volltreffer Alfonso Romero Mora
Für die Hamburger Kammeroper im Allee Theater hat Intendant Maruis Adam eine wahre Opernperle ausgegraben. „I due Figaro“, die Fortsetzungsgeschichte von Mozarts „Le nozze di Figaro“, komponierte Saverio Marcadante im Jahr 1826. Trotz seines großen Erfolgs geriet das Werk in Vergessenheit und wurde nach seiner Wiederentdeckung erst 2011 auf dem Ravenna Festival unter dem Dirigat von Riccardo Muti wieder aufgeführt. Für die deutsche Erstaufführung unter dem Titel „Figaros Hochzeit zweiter Teil“ hat man den spanischen Regisseur Alfonso Romero Mora engagiert – und damit einen Volltreffer gelandet.
Schon mit vielen glänzenden Produktionen hat Mora am Haus in der Max-Brauer-Allee seinen überraschenden Einfallsreichtum, seine exzellente Figurenführung und seinen sprühenden Humor unter Beweis gestellt. Und auch in seinem neuen „Figaro“ spürt man die große Lust zur Arbeit am Detail, die offenbar auch das erstklassige achtköpfige Sängerensemble entzündet hat. Marco Trespioli hat als Graf Almaviva mit wunderbar schneidigem Tenor die Feinfühlung zu seiner Gattin längst verloren. Er harkt stattdessen seinen Zen-Garten in Bonsai-Größe, wirft irritierende japanische Sinnsprüche in die Runde und berauscht sich am Sake. Zusätzlich darf er auch schon mal beim Verzehr eines Brötchens mit vollem Mund eine ganze Arie singen, während in einer Liebesszene die fleischliche Lust durch das gemeinsame Tranchieren eines Serrano-Schinkens unterstrichen wird.
Klangbalance vom Feinsten
Stimmlich berauschend gibt Natascha Dwulecki ihre Susanna im Flamenco-Kleid. Damit eine augenfällige Korrespondenz zu den vielen Anklängen an spanische Folklore in Mercadantes Partitur. Mit ihrem eingängigen Melodiereichtum und den geschmeidigen Koloraturen betört diese ebenso, wie die punktgenau agierenden fünf Musikerinnen und Musiker, die unter der Leitung von Ettore Prandi den Klangraum zwischen Bühne und Graben vorbildlich ausbalancieren. In der Rolle der Inez macht die junge ukrainische und krimtatarische Sopranistin Lilia-Fruz Bulhakova ihren leuchtenden Sopran zum Sprachrohr einer Figur, die weiß, was sie will, während der Brasilianer Edilson Silva Junior seinen Cherubino mit tenoraler Souveränität durch das Stück trägt.
Als singendes Kraftwerk und schauspielerisches Bühnentier erweist sich an diesem Abend einmal mehr Bariton Titus Witt. Schaurig schleimig, fies hintertrieben, aber auch bebend und kochend vor Wut erlebt man ihn als Figaro auf der Bühne, wo er als Epizentrum immer wieder für Eruptionen sorgt. Etwa wenn er als Kutscher die Pferde wild über eine holprige Strecke treibt, während der Graf neben ihm vergeblich versucht, einen Tee vom silbernen Tablett zu trinken. Auch dem Comic, Stummfilm und Slapstick entlehnt Mora seine inspirierte Bühnenästhetik und zaubert mit ihr im kleinen Theater ganz große Oper.