Foto: © Thomas Aurin
Text:Dagmar Ellen Fischer, am 12. Mai 2023
Karl Ove Knausgårds dystopische Romanserie, deren zweiter Teil gerade erschienen ist, passt bestens in die Zeit. Ihr erster Teil wurde nun in deutscher Erstaufführung am Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt: „Der Morgenstern“ ist eine fröhliche Apokalypse von gut drei Stunden Dauer.
Licht steht gemeinhin für Freude, Hoffnung, Leben. Dunkelheit dagegen ist schnell angstbesetzt und birgt unsichtbare Gefahren. Was aber, wenn Helligkeit plötzlich bedrohlich wird? Dieses Szenario spielt Knausgård in „Der Morgenstern“ durch: Am Himmel erscheint ein unerklärliches, leuchtendes Phänomen. Auf der Bühne hingegen halten sich die Vorboten sowie die aufkeimende Katastrophe selbst dezent im Hintergrund. So sehr, dass die rätselhafte Bedrohung über weite Strecken völlig in Vergessenheit gerät, wären da nicht hin und wieder Menschen, die fragend nach oben schauen. Stattdessen rücken 14 norwegische Normalbürger in den Mittelpunkt, mitsamt profanen Sorgen („Ich will nicht nach Hause“) und ihren banalen Gedanken („Jetzt muss ich erstmal meinen Kaffee austrinken“).
Jeder nach seiner eigenen Komik
Doch gerade weil sich die Inszenierung von Viktor Bodó so viele Freiheiten nimmt, ist es ein gelungener Abend, der unterschiedlichste Spielarten von Humor bedient, von plattem Grimassen-Schneiden bis pointiertem Bonmot. Dabei setzt der Regisseur geschickt auf die jeweilige, sehr individuelle Komik der unterschiedlichen SpielerInnen-Typen: Samuel Weiss mit seiner differenzierten Körpersprache, Julia Wieninger und ihre trockenen Kommentare, Markus John mit seiner beredten Mimik. Geschildert werden berufliche und private Situationen im Laufe von (nur) zwei heißen Sommertagen und -nächten: Beispiel: Eine überfürsorgliche Mutter, die nicht sieht, dass ihr Sohn das Gewehr des Vaters beiseite schafft; die Pastorin, die sich plötzlich vor ihrem Mann ekelt; die Tochter, die ihrem Vater sagt, dass sie ihn hasst. Ob Stress unter Geschiedenen, Versagen im Job, Beziehungsprobleme, Eltern-Kind-Konflikte – mal werden sie witzig, mal ernst gezeigt, meist aber so überzeichnet, dass es kaum berührt, dafür umso gründlicher unterhält. Spannend zu beobachten ist, wie sich das Auftauchen des Himmelsphänomens auf eine spezielle Situation auswirkt: Manchen scheint es eine willkommene Ablenkung vom Psychokrieg zuhause, andere wiederum reißt es ungewollt aus dem vertrauten Einerlei.
Diverse Perspektiven
Rund um den live bespielten Bühnenraum (Jane Zandonaí) gruppieren sich oberhalb der Rampe unterteilbare Projektionsflächen, die nach Bedarf aktiviert werden, um zusätzliche Perspektiven auf das Live-Geschehen zu bieten oder auch zum Abspielen vorproduzierter Sequenzen (Video: Bors Ujvari). Ein ausgeklügeltes Spiel mit Licht und Schatten durchzieht den gesamten Abend: Erleuchtet zu Beginn helles Arbeitslicht den gesamten Theaterraum, so ist es die Hand eines zwielichtigen, zuvor (scheinbar toten) Spielers, der zum Schluss das Objektiv einer Kamera in der Bühnendecke herausschraubt, auf die finale Dunkelheit folgt. Ob das helle Himmelslicht Gutes oder Böses verheißt, bleibt letztlich offen – gemäß der im Stück vermittelten Erkenntnis, dass ein Morgenstern zwar der vor Sonnenaufgang leuchtende Himmelskörper sei, aber in seinem Namen als Lichtbringer auch „Lucifer“ stecke. Begeisterter Applaus für die großartige Leistung der Darstellenden sowie für Regie und Technik!