Wandeln durch eine krasse Geschichte
Die Handlung von „Warten auf Tränengas“ von Andreas Sauter und Bernhard Studlar, das 2020 in Bregenz uraufgeführt wurde und nun erstmals in Deutschland zu sehen ist, umfasst eine ziemlich rasante Geschichte: Der Präsident eines demokratischen Landes wird von einer stillen Revolution aus dem Amt gefegt, auch der Einsatz von Tränengas hilft nicht mehr. Nachfolgerin Diana, eine Frau aus Mitte des Volkes, übernimmt mit gut gemeinten und wohl klingenden Parolen von Internationalität, neuer nationaler Gemeinsamkeit und sozialer Gerechtigkeit die Macht. Als der Ex-Präsident von der Wirtschaftslobby gegen die kapitalunfreundliche Politik instrumentalisiert wird, verhängt eine Volksabstimmung die Todesstrafe per Guillotine gegen ihn. Ein Triumph der populären Präsidentin, der jedoch für sie und ihre gewendeten Mitarbeiter (Polizist und Sekretär) sowie ihre ehemalige Mitstreiterin zu großen inneren Spannungen führt.
Angekommen im dramatischen Finale
Das Stück des Autorenduos stellt zwischen Zustandsbeschreibung, utopisch-dystopischer Fantasie und drastischer Geschichte von fünf Figuren eine ziemlich eigenwillige Mischung dar. Die Charaktere sind eher angedeutet als ausgestaltet, die besondere Qualität liegt gerade in der hybriden Verbindung von (teils chorischer) Beschreibung einer gesellschaftlichen Krise und den biographischen Auswirkungen der historischen Umwälzungen. Mareike Mikats Regie hält die Schauplätze und das Publikum bei dieser komplexen Reise klugerweise in Bewegung.
In der vierten und längsten Station, in der Theaterbar „Casino“ über den Dächern der Stadt, kommen Spieler:innen und die schließlich im „Stuhlkreis“ versammelten Mitläufer:innen des Publikums nicht nur räumlich weiter zusammen. Hier prallen die Schicksale der beiden zentralen Figuren Diana, der neuen Präsidentin und dem ehemaligen Präsidenten aufeinander, genauer: Es laufen beider auseinanderlaufende Biographien wirkungsvoll parallel. Während sie in der neuen weißen Kleidung samt „Wir“-Button Härte predigt, betrinkt er sich im Bademantel an der Bar alias Sauna des Wirtschaftsmoguls und taumelt seinem Ende entgegen. Der weitere Blick auf gesellschaftliches Unwohlsein zu Beginn – „Kann man nicht auch mal sagen, dass wir in einem guten Land leben?“ – ist nun ganz bei den Protagonist:innen angekommen. Besonders Till Schmidt und Nicoline Schubert gelingen Figurenporträts, die dem eng versammelten Publikum die zugleich fern wie nah wirkende Geschichte in jeder Beziehung nah bringen.