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Häuten hilft nicht

Johann Kresnik/Christoph Klimke: Villa Verdi

Theater:Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Premiere:24.04.2013Regie:Johann Kresnik

„Der Kuss der Tosca“ – diesen Film drehte der Schweizer Daniel Schmid 1984 über ein Mailänder Altersheim und dessen Bewohner. Die sogenannte „Villa Verdi“ beherbergte alte Sängerinnen und Sänger, Schauspielerinnen und Schauspieler jenseits von Bühne und Karriere; der Komponist Giuseppe Verdi hatte die Institution gestiftet und mit Tantiemen ausgestattet. Auch Dustin Hoffmans „Quartett“-Film fußt auf der „Villa Verdi“; für eine Theaterfassung lud die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz noch einmal Johann Kresnik ein, den Choreographen, der vor zwanzig Jahren viel beitrug zum Furor von Frank Castorfs Aufbruchszeit.

Jetzt fallen viele vorletzte Worte – tunlichst sollten die Künstler ihr Publikum verlassen, bevor es sie verlässt; das sagt der finsterste Bewohner, der Schauspieler. Und während einer der Sänger bekundet, seine Stimme werde noch aus dem Grab zu hören sein, sammelt der brummige Greis Tabletten im Garderobenschrank: für den Tag, an dem er es nicht mehr aushalten wird. An der Rückseite all der Schminktische, die die Volksbühnenkräfte, Solisten sowie Mitarbeiter- und Freundes-Chor, als Requisit hin und her schieben auf Marion Eiseles Bühne, finden sich Jugend- und Rollen-Fotos der Akteurinnen und Akteure – so rollt jeder und jede sein oder ihr Stück Erinnerung mit sich durchs verbleibende Leben.

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Ilse Ritter, noch nicht 70, Roland Renner und Countertenor Jochen Kowalski, unter 60, agieren in Johann Kresniks Altentheater solidarisch neben (zum Beispiel) der 85-jährigen Jutta Vulpius, die schon zu Walter Felsensteins Entdeckungen im alten Ost-Berlin gehörte; und die „jungen Hüpfer“ sowie Andreas Seifert und Cornelia Kempers als Pflegekräfte in der von der Abwicklung bedrohten Alten-Residenz helfen mit bei der Stück-Struktur. Die baut kaum durchgehende Texte auf – die wenigen fixierten Passagen von Christoph Klimke, vorzugsweise über die kulturelle Ignoranz der Politik, sind von kaum unterbietbarer Dürftigkeit.

Intensiver und auch amüsanter wirken allemal die lebendigen Erinnerungen der heute Beteiligten – und, natürlich, der Chor-Gesang. Die liebliche Altersmilde in Kresniks Arrangements (der Choreograph steht selber im 74. Lebensjahr) bricht auch nur einmal auf – als sich die Jugend persönlich zu Wort meldet.

Besser: zu Sprung und Schritt – zwei Ballett-Studierende lässt er plötzlich jugendliche Energie und erste Schritte auf dem Weg zu späterer Meisterschaft vorführen; aber derweil zerschneidet rechts vorn Osvaldo Ventriglia, der letzte Kämpe aus Kresniks einstiger Compagnie, Stück für Stück Hemd und Trikot, ganz so, als wär’s die alte, eigene Haut. Und während die Jungen letzte Sprünge zeigen, rollt von links Hidehiko Maki eine Kreissäge herein – denn weil auch Sich-Häuten nichts hilft gegen die Übermacht der Jugend, sägt sie sich einen Tanz-Fuß ab. Um aber weiter zu tanzen, auf Stumpf und Krücken; auch Jutta Vulpius bekommt so ein Double aus Schmerz verpasst – Christus weiblich, mit blutender Scham, als Christa am Kreuz sozusagen, aus dem Bühnenboden herauf gefahren. So erzählt Kresnik von der Flucht vor dem unabwendbar letzten Vorhang wie vom Nicht-Abschied-nehmen-Können.

Am Schluss scheint die Decke der Villa einzustürzen, eins der Schminktischchen vom Anfang fährt jetzt einsam brennend über die Bühne – Zukunft sieht anders aus; Kresnik sieht schwarz für sich und all die alten Freunde. Hoffentlich behält er Unrecht, der große Alte.