Foto: Händels "Riccardo Primo" in Karlsruhe. Andrew Finden (Berardo), Emily Hindrichs (Costanza), Franco Fagioli (Riccardo I.), Claire Lefilliâtre (Pulcheria), Nicholas Tamagna (Oronte), Statisterie © Falk von Traubenberg
Text:Georg Rudiger, am 25. Februar 2014
Gespreizte Finger treffen auf prunkvolle Kostüme, prächtige Kulissen auf 800 Kerzen. Die gefeierte Premiere von „Riccardo Primo“ zur Eröffnung der Händelfestspiele Karlsruhe wird nicht nur durch das barocke Instrumentarium zu einer kleinen Zeitreise. Der französische Regisseur Benjamin Lazar hat für seine Inszenierung von Händels 1727 uraufgeführter Oper eine spezielle Bühnensprache entwickelt, die sich ebenfalls an barocker Aufführungspraxis orientiert. Nicht nur die Stimme, der ganze Körper soll nach dem Willen der Regie zum Ausdrucksträger der Musik werden. Deshalb machen die vorzüglichen Solisten keine einzige natürliche Geste. Die Bewegungen der Hände erinnern an Gebärden, die verschiedene Zustände ins Bild fassen – Freude und Trauer, Annäherung und Abgrenzung. Der Schein der Kerzen, von denen die meisten unsichtbar am vorderen Bühnenrand aufgestellt sind, gibt die Position der Sänger vor. Wer eine Arie zu singen hat, kommt nach vorne, um sprichwörtlich im Rampenlicht zu stehen. Der Rest des Bühnenpersonals ist im Hintergrund platziert, was auf Dauer in seiner Vorhersehbarkeit eher ermüdet. Echte Interaktion zwischen den Figuren findet so gut wie keine statt. Ein Musiktheaterabend ohne künstliches Licht, ohne Videos, ohne Drehbühne: Händel unplugged. Radikal entschleunigt, bewusst stilisiert, ohne jeden Gegenwartsbezug. Ein in seiner Rückwärtsgewandtheit fast schon wieder provokativer, radikaler Ansatz, aus dem heraus in Karlsruhe allerdings nur selten Funken sprühen.
Das liegt auch an der musikalischen Umsetzung durch die Händel-Solisten unter Michael Hofstetter. Fast scheint es, als hemmten zu Beginn die goldbesetzten, schweren Stoffe auch die Beweglichkeit des Orchesters. Man vermisst in den ersten, gemäßigten Tempi die federnden Impulse. Da wird anfangs zu wenig artikuliert und insgesamt zu gleichförmig musiziert. Der nach einem Unwetter totgeglaubte Riccardo Primo alias Richard Löwenherz (Franco Fagioli) sucht auf Zypern seine Verlobte Costanza (Emily Hindrichs), die er zuvor noch nie gesehen hat. Zyperns König Isacio (mit beweglichem Bass: Lisandro Abadie) hat selbst ein Auge auf die in Begleitung ihres Bruders Berardo (solide: Andrew Finden) gestrandete Dame geworfen und versucht, dem Rivalen seine mit dem syrischen Fürsten Oronte (schlicht und ergreifend: der Counter Nicholas Tamagna) verbandelte Tochter Pulcheria (stark: Claire Lefilliâtre) unterzujubeln. Der Schwindel fällt auf, es gibt Krieg – am Ende triumphiert die Liebe. Adeline Caron hat für die Kreuzfahrergeschichte eine mittelalterliche Burg gebaut, deren massive Mauern, um 180 Grad gedreht, einen funkelnden Palast offenbaren. Auch die golddurchwirkten Kostüme von Alain Blanchot sind schön fürs Auge. Museale Pracht, die mehr Distanz als Nähe schafft.
Es sind die Solisten, die diesem „Riccardo Primo“ Aussagekraft verleihen. Star des Ensembles ist der argentinische Countertenor Franco Fagioli in der Titelrolle, der in der Vergangenheit schon mehrfach in Karlsruhe für Begeisterungsstürme sorgte. Besonders eindrucksvoll sind seine lustvoll zelebrierten Registersprünge von tiefer Bruststimme bis ins höchste Falsett. Fagioli besticht durch atemberaubende Koloraturen und höchste Phrasierungskunst. Er inszeniert regelrecht die Musik, wenn er bei „Quanto tarda il caro bene“ (Wie lange zögert meine Geliebte), dem Arioso im zweiten Akt, das Wort „Quanto“ lange dehnt und durch An- und Abschwellen der Stimme expressiv auflädt. Emily Hindrichs verleiht mit ihrem schlichten, klaren Sopran Riccardos Verlobter Costanza edle Züge. Und wenn die Regie den beiden für einen kurzem Moment körperliche Nähe gestattet und sie beim Liebesduett „T’amo sì“ zusammenführt, dann entstehen auch szenisch berührende Augenblicke. Im Laufe des Abends nimmt dieser „Riccardo Primo“ an Fahrt auf. Das Orchester spielt sich frei – und lässt im dritten Akt auch die plastisch komponierte Kriegsmusik mit Hörnern, Pauken und Trompeten lebendig werden. Franco Fagioli darf ein letztes Mal mit vokalen Kunststücken glänzen, eher dieser Riccardo Primo sein Löwenherz Costanza schenkt.