Foto: Juliana Götze (Besche Ju) Zora Schemm (Besche Zo) und Eva Mattes (Erzengel Gabriel) © Melanie Bühnemann
Text:Hartmut Krug, am 14. Februar 2016
Direkt aus dem Vorspiel von Goethes Faust kommen die zwei Erzengel und das Teufelchen, die sich beim Theater RambaZamba hinab auf die Erde begeben. Die Engel sollen, wie in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, gute Menschen finden, um Gott von der strafenden Sintflut abzuhalten. Seit 25 Jahren gibt es das RambaZamba. Seine Schauspieler sind „behindert“, wie es einst hieß, während man heute neue, nicht abwertende Bezeichnungen wie „Menschen mit besonderer Begabung“ für die Schauspieler sucht, die mit dem Down Syndrom oder mit körperlichen Behinderungen geboren sind. RambaZamba macht Inklusionstheater, denn bei ihm spielen ganz selbstverständlich Schauspieler und „Behinderte“ zusammen. Die an Brechts Stück und dessen Spieltheorien orientierte Version von Regisseurin und Theatermitbegründerin und Leiterin Gisela Höhne macht schon im Titel „Der gute Mensch von Down Town“ klar, um welche Frage es geht: Kann man gut sein, obwohl man wegen seiner Krankheit nicht als voll verantwortlich gilt? Eine deutliche Antwort gibt es nicht, aber Szenen, in denen gezeigt wird, wie Menschen, die geistig und körperlich anders sind, sich anderen und einander offen zuwenden.
Die große Frage beschwert das wunderbar selbstverständliche Spiel dabei keinen Augenblick, auch wenn sie immer wieder im Spiel auftaucht. Didaktik und sinnliches Spiel vereinen sich bei RambaZamba auf erstaunliche Weise. Es gibt Sprechgesangs-Lieder, und es gibt viel Bewegung durch die Drehbühne auf der kleinen Spielfläche, die von Angelika Dubufé mit viel Flitter und einer Mülltonne ausgestattet wurde. Drei Musiker begleiten aus dem Hintergrund das Spiel, wobei Moritz Höhne mit immer neuen Instrumenten auch auf die Bühne vordringt. Aktualisierende Anspielungen werden nicht verschmäht: So weist man die Engel bei ihrer Unterkunftssuche mit dem Hinweis auf „Köln“ und mit Ängsten vor „Einreisen, Klauen, Vergewaltigen“ ab. Die Einwohner von Down Town werden zu Beginn von einer Betreuerin durch ein Bewegungsprogramm gejagt, das ihnen Kampfsport als Überlebenstraining abverlangt. Was gut gemeint, aber eine Entmündigung durch die Betreuerin ist. Mehrfach taucht im Spiel die Forderung nach Selbstbestimmtheit auf.
Brechts Shen Te heißt in Höhnes Fassung Besche und ist ein Trio: Juliana Götze, Zora Schemm und Nele Winkler spielen die drei, die statt des Tabakladens eine Teestube bekommen. Schöne spielerische Effekte ergeben sich, wenn in die als Teestuben dienenden offenen, beweglichen Zelte die vielen anderen „Downies“ zerstörerisch hineindrängen. Worauf die Besches sich zu martialischen Milizionären mit langen Schlagstöcken und mit dunklen Strumpfmasken verkleiden. Wenn der Hausbesitzer den vielen in der Teestube hausierenden Menschen zur Begleichung der Miete erotische Tänze für seine Nachtklubbesucher mit der Begründung abverlangt, Leute mit Down Syndrom seien im Augenblick im Trend, dann zeigen die mit wenigen Dessou-Teilen ein urkomisch lustvollironisches Tanzspektakel.
Urkomisch auch, wenn der massige Jan-Patrick Kern als sein Geld einklagender Monteur seine Forderung mit mehrfachem, drohendem Grunzen unterstreicht. Da wird eine Figur mit mimisch-gestischem Minimalaufwand sinnlich charakterisiert. Toll.
Und die bekannte Schauspielerin Eva Mattes schafft es in der Rolle eines der Erzengel, sich so ungspektakulär wie vollständig in das Ensemblespiel zu integrieren. Ihr vogelartiger Engel bewegt den Kopf ruckartig und zittert mit Händen, an deren Fingerspitzen Flaumfedern flattern. Wenn ihr eine der Besches ihren Beobachtungsplatz wegnimmt und sie zu den anderen, drangsalierten schickt, dann übernimmt ihr Erzengel plötzlich alle vorgeschriebenen Haltungen. Das Diktat der Betreuung, mal wieder.
In der zugleich dramaturgisch klugen wie lose geknüpften Spielfassung kommt auch die Liebe vor: „Deine Hand auf meiner Brust“, sagt eine der Besches ganz ohne Pathos zu ihrem Geliebten, den sie vom Selbstmord abhält. Ein mögliches Kind führt zur Frage, ob „Menschen mit Behinderung“ ein Kind bekommen sollten, wobei der Teufel einen Bluttest anregt, damit nur ein schöner Mensch dabei raus kommen kann. Es ist dies eine ungemein unterhaltsame, immer wieder auch anrührende, schauspielerisch zu einem eigenen, überzeugenden Stil führende Inszenierung. Eben einfach gutes Theater.