Witzig und wichtig
Regisseur Helge Schmidt hat die Steilvorlage eines dramatischen Textes mit mehr als 30 Rollen beherzt aufgegriffen und zusammen mit dem für Bühne und Kostüm zuständigen Duo Anika Marquardt und Lani Tran-Duc ein knapp zweistündiges Spektakel geliefert, das am Ende mit stürmischem Applaus bedacht wurde. Da sieht man auf der Bühne ein übergroßes Ohr ebenso herumstehen wie es Glitterflitter regnet. Als Video-Einspieler erscheint Gott so selbstverständlich wie Interviews mit ganz irdischen Personen wie dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann und dem Juristen und Betreiber des „Verfassungsblogs“ Max Steinbeis. Hocken manche Artikel des Grundgesetzes bei dem guten alten Sigmund Freud in Therapie. Artikel 16a (Asylrecht) ist so ein hilfsbedürftiger Fall nach dem sogenannten Asylkompromiss von 1993. Rasant werden Kostüme gewechselt und viele Lieder gesungen – Heines Gedicht „Frieden“ beispielsweise und ganz Neues wie „Wenn ich groß bin“ von Max Czollek.
Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler bestreiten im Markgrafentheater das Rollenüberangebot: Hermann Große-Berg, der gerade noch den alten SPD-Verfassungsrecken Carlo Schmid gespielt hat, muss gleich darauf in die Rolle Deutschlands schlüpfen und sich eine Miniaturnachbildung des Brandenburger Tors um den Leib schnallen. Oder Janina Zschernig verkörpert im schwarzen Paillettenkleid eben noch die Demokratie, um danach als innerlich zerrissener Artikel 16a bei Freud aufzukreuzen und später als Gartenzwerg zu erscheinen.
So ließe sich fortfahren – wobei man allen anmerkt, mit wie viel Freude sie bei der Sache sind. Wann hat man auch schon die Gelegenheit, als rauchender Bundesadler auf der Bühne zu stehen wie Max Mehlhose-Löffler. Oder Mephistophelesʼ berühmte Rede vom Geist, der stets verneint, als schummrigen Schubido-Schieber zu geben wie Juliane Böttger. Denn wenn sich die Truppe, die hier ihren Revueauftritt zum Grundgesetz-Geburtstag probt, in vielem auch uneins ist, eines steht für sie fest: „Keine Gala ohne Goethe.“
Wichtige Themen und Fragen
Küspert und Küspert feiern in „GRNDGSTZ“ unsere erfolgreiche Verfassung. Ursprünglich war das Stück für das Jahr 2019 geplant. Da wurde das Grundgesetz 70 Jahre alt. Dann sollte es 2021 seine Uraufführung haben. Coronabedingt hat es nun ein Jahr später endlich seinen Weg auf die Bühne gefunden. Bei allem Humor, den Stück und Inszenierung auszeichnen, darf nicht vergessen werden, dass hier sehr viel Grundsätzliches in einem mitunter schwindelerregenden Tempo verhandelt wird. Alles aufzuzählen, unmöglich.
Es wird das Thema Überwachung angesprochen, der Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht angeschnitten, nach der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung von Frauen und von Menschen mit Handicap gefragt. Am Beispiel des Kindermörders Magnus Gäfgen diskutiert man, ob es erlaubt sein sollte, Geständnisse per Folter zu erpressen, um ein Kind zu retten. Oder man stellt Fragen, die zukünftig relevant werden: „Wenn ein selbstfahrendes Auto einen Menschen überfährt, wer ist dann schuld?“ Zuletzt steht die Bedrohung der Judikative durch ihre Aushöhlung im Raum, wie man sie in EU-Ländern wie Ungarn und Polen beobachten kann.
Am Ende des ebenso unterhaltsamen wie klugen Abends sollte nämlich eines klar sein: Das Grundgesetz ist eine Erfolgsgeschichte und ein Garant für Stabilität im Land, aber eben kein Selbstläufer. Es erfordert unsere stete Wachsamkeit. Die eindringlichen Worte von Max Steinbeis bleiben im Gedächtnis: „Sich darauf zu verlassen, dass man sagt: ,Wir haben hier dieses fantastische Grundgesetz und wir haben diese Institutionen und wir haben das Bundesverfassungsgericht und die passen auf uns auf‘, das wäre eine sehr trügerische Hoffnung und der sollte man sich nicht hingeben.“