Foto: "Sturmhöhe - Wuthering Heights" am Staatstheater Braunschweig. Solen Mainguené, Matthias Stier © Volker Beinhorn
Text:Andreas Berger, am 13. April 2015
Die Natur bleibt draußen. Für die deutsche Erstaufführung von Bernard Herrmanns Oper „Wuthering Heights“ am Staatstheater Braunschweig hat Thomas Gruber einen edel-karg eingerichteten Betonbunker mit Ledersofa und Breitbildschirm geschaffen. Philipp Kochheims Interpretation des romantisch-mysteriösen Stoffs von Emily Brontë erinnert so eher an Godard als an naheliegende englische Gothic-Filme. Damit setzt er Herrmanns Musik mit ihren breit malenden Naturschilderungen und manchmal reichlich melodramatischem Pathos eine zeitgenössisch-coole Ästhetik entgegen. Und zwar perfekt durchgestylt.
Denn Solen Mainguené und Orhan Yildiz als Cathy und Heathcliff bewegen sich darin wie Filmschauspieler. Wo sie zusammentreffen, knistert es vor Erotik. Die Anziehung funktioniert über die Weiten des Raumes, jedes Nahen bringt lustvolle Küsse, mal gleitet Heathcliffs Hand unter ihren Rock, mal sinkt Cathy an seinem Gürtel nieder. Rauchen wird zum Akt. Und genussvoll ziehen sie die braven Nachbarsgeschwister mit hinein in ihr Spiel aus Eifersucht und Demütigung, indem Cathy den naiven Linton heiratet und sich Heathcliff durch eine Ehe mit dessen Schwester Isabella rächt.
Solen Mainguené spielt dabei die kapriziöse Tochter aus besserem Hause, die ihren Ärger am Personal und den kunstvoll arrangierten Lilien ablässt. Grandios legt sich ihre süffig-weiche, licht und leicht und doch durchschlagskräftig klingende Stimme in die unendlichen Melodien von Bernard Herrmann. Mühelos leuchten Spitzentöne auch mal mit dramatischer Verve hervor. Und Orhan Yildiz glänzt mit einem volltönigen, warm timbrierten und prägnant auftrumpfenden Bariton. Genüsslich lässt er den Macho raushängen, der nur mit dem Kopf zu winken braucht, schon ist ihm die keusche Isabella von nebenan zu Willen.
Regisseur Kochheim lässt einen diese Bettszene im Hintergrund sehen, wenn die zurückgelassene Cathy über diese Demütigung klagt, als würden so ihre eigenen Phantasien bildlich. Selbstritzungen, Selbstmordversuche, Pistolen und Alkohol garnieren die albtraumhafte Beziehung der Stiefgeschwister inmitten allgemeiner Dekadenz.
Freilich kommt so dem Werk der naturmystische, numinos-schaurige Urgrund abhanden. Das unkonventionelle Paar des „Wolfsjungen“ Heathcliff und der nur in der Natur auflebenden wilden Katze Cathy, die ganz anderes als Sex verbindet, degeneriert zu verwöhnten, ungebärdigen Society-Kids. Im Übrigen macht Herrmann den Heathcliff am Ende zum Pfleger an Cathys Krankenlager mit herzschmerzlicher Romanze. Der amerikanische Komponist, bekannt für seine Filmmusiken für Hitchcock-Thriller, startet zwar grandios mit trockenen Paukenschlägen, aufschrillender Flöte, tiefem Streicherdräuen und dunkler Holzriegenklage, die zur Ouvertüre das psychotische Universum aus Sturm und Besessenheit umreißen. Doch im Folgenden strömt die Musik eher romantisch webend dahin, umspült einen oft arios geweiteten Sprechgesang mit wiederkehrenden Klagemotiven in Cello und Klarinette. Auf Dauer klingt das allzu gewöhnt. Kein Wunder, dass namhafte Dirigenten stets massiv streichen wollten. In Braunschweig hielt Enrico Delamboye das Staatsorchester in weichem Fluss, nutzte die Gelegenheiten zu dramatischen Aufwallungen.
Mit machtvollem Bassbariton und wuchtiger Figur stellt sich Oleksandr Pushniak als Hausherr den Sturmhöhen-Kindern entgegen. Matthias Stier singt mit tenoralem Schmelz die Arie von Cathys naivem Verlobtem, Milda Tubelyté mit der Fülle ihres weichen Mezzosoprans das Heimwehlied der betrogenen Isabella und Rossen Krastev mit sattem Bass den frommen Hauswalter, während Anne Schuldt mit prägnantem Alt die wenig mütterliche Nanny spielt.
Die düstere Gesamtstimmung des Werks ließ den Beifall erst zur Pause und am Schluss explodieren, dafür für alle heftig. Musik und Inszenierung sind großes Kino, wie weit sie dem Romanstoff gerecht werden, wäre wie bei mancher Verfilmung auch zu diskutieren.