Foto: Mannheimer "Land ohne Worte" mit Annemarie Brüntjen © Christian Kleiner
Text:Ute Grundmann, am 21. Dezember 2020
Das Land ist keineswegs ohne Worte, sondern fast übervoll von ihnen. Schmerz sollen sie ausdrücken, Zweifel, Gefühle, Fragen, nur selten Antworten. In diese spezielle Welt führt eine Dramatikerin die Zuschauer und ihre einzige Bühnenfigur. Dominic Friedel und Annemarie Brüntjen haben sich jetzt mit Dea Loher auf den Weg gemacht.
Die ersten der hier so vielfach und vielfältig gebrauchten Worte sind gedruckt, in schöner, akkurater Kleinschreibung auf eine weiße Leinwand. Sie sagen dem Zuschauer und der Darstellerin, was sie macht oder auch nicht: Annemarie Brüntjen „zieht“ kein „Kostüm der Autorin an“, „wartet“ aber „auf ihren Auftritt“. Den beginnt die namenlose Figur dann gleich mit einem Widerspruch: „Dies ist keine Malerin“ steht auf ihrem weißen T-Shirt, doch genau die soll sie verkörpern.
Denn Dea Loher stellt in ihrem 2007 in München uraufgeführten Monolog die Grundsatz- und Gretchenfragen an die Kunst, an das Leben, an sich selbst. Kann, soll Kunst etwas verändern? Was will ich als Künstlerin und wie kann ich es ausdrücken? Und was macht das dann mit mir und den Menschen, die meine Werke erleben? Das sind Fragen, die der Autorin wie der Malerin gleichermaßen gelten können; Lohers Alter Ego ist die Frau in diesem Land ohne Worte aber eher nicht.
Mit schmalen Lippen fragt Annemarie Brüntjen – leger gekleidet, hochgestecktes Haar, große, oft leuchtende Augen – zunächst auch sich selbst: Was tue ich hier? Wer bin ich eigentlich? Tritt sie dann, wie vom Text angewiesen, „in der Rolle der Autorin“ auf, wird ihr ein Klavier zur Schreibmaschine, auf dem/der sie mit einem Finger kindlich klimpert. Doch auch so findet sie nicht die richtigen Worte, der Fluch jedes Schreibenden hallt mehrfach nach.
Der einstündige Abend im Nationaltheater Mannheim beginnt auf diese Weise ganz verheißungsvoll, ein bisschen verrätselt, tastend, wie auf dem Weg zu einem noch unsicheren Ziel. Aber wir sind im Stream und da kommt „Siegersbuschfilm“ ins Spiel, auch im Wortsinn. Denn die Kameraführung ist hier alles andere als dokumentarisch. Sie springt der Schauspielerin porennah ins Gesicht, „schneidet“ auch mal deren Stirn ab, filmt immer wieder am Körper entlang zu den Füßen und wieder hinauf. Sinn ergibt das selten, aber die Kamera will mitspielen, nicht nur abbilden. Das ist ganz reizvoll, wenn Annemarie Brüntjen selbst genauso mit der Kamera spielt wie die mit ihr, oder wenn das Streambild zeigt, wie sie im frauhohen Spiegel dem eigenen Blick ausweicht. Im Übrigen aber wird hier ein Zwitterprodukt aus Theater und Film erzeugt, dessen Bilder ein „normaler“ Theaterbesucher nie sehen könnte.
Und auch den bringen Dominic Friedel und Annemarie Brüntjen, die den Abend gemeinsam erdacht und gestaltet haben, noch ins Geschehen. Zwischen Häme für den Kunstbetrieb und Fragen nach den Schmerzen, die ein Kunstwerk macht und zeigt, wendet sich die „Malerin“ per Kamera an die Zuseher. Da wird plötzlich das Theater, das nicht spielen darf, zum Thema, wird nach der Gesellschaft und Systemrelevanz gefragt. Das wirkt inmitten der großen Fragen, die Dea Loher (sich) hier stellt, doch sehr klein.
Zum Ende gibt es dann noch schriftliche Merksätze zu heiterer Musik, ehe der sichtbare Text auf Anfang gestellt und dann, folgerichtig, ausgeblendet wird. Ein ungewöhnlicher, manchmal mutiger Versuch, aber letztlich zerstreiten sich Regie- und Filmambitionen.